Die aktuelle wirtschaftliche Lage der Ukraine: Prioritäten und regionale Einblicke
Am 25. Juni 2024 hat die EU die erste Regierungskonferenz auf Minister:innenebene zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine abgehalten. Dabei ging es auch um die Festlegung wirtschaftlicher Prioritäten für die künftige Zusammenarbeit. Die Beitrittsgespräche finden inmitten der anhaltenden russischen Aggression statt, was die Frage aufwirft, ob die Ukraine in der Lage sein wird, die wirtschaftliche Stabilität sowohl auf nationaler als auch auf regionaler Ebene aufrechtzuerhalten.
Vor diesem Hintergrund organisierte das IEP am 11. Juli 2024 in Kooperation mit dem New Europe Center (NEC) das sechste Deutsch-Ukrainische Frühstückgespräch in Berlin. Zu Beginn der Veranstaltung wurde herausgestellt, dass sich ukrainische Unternehmer:innen nach wie vor als resilient und kreativ erwiesen, es sogar Anzeichen für eine wirtschaftliche Erholung gebe: Das ukrainische Bruttoinlandsprodukt soll laut einer Prognose der National Bank of Ukraine und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung im Jahr 2024 um 6,5 % steigen. Außerdem hätten inzwischen 90 % aller Betriebe, die seit dem Beginn des Angriffskrieges ihre Arbeit einstellen mussten, diese wiederaufgenommen. Auch die Metallproduktion und der Bergbau hätten wieder 40 % ihrer ursprünglichen Kapazität erreicht. Für die Erholung der Landwirtschaft, die ebenfalls eine zentrale Rolle für die ukrainische Wirtschaft spiele, sei allerdings ein freier Korridor zum Schwarzen Meer für Exporte unerlässlich. Die Europäische Union könne die ukrainische Wirtschaft durch eine engere Einbindung in den EU-Markt unterstützen. Die ökonomischen Potentiale eines EU-Beitritts der Ukraine aufgrund der Vorkommen an Lithium und Seltenen Erden müssten zudem stärker betont werden.
Die größte Herausforderung für die ukrainische Wirtschaft stelle jedoch der massive Bevölkerungsverlust von 30 % dar. Die Ukraine sei zudem mit so vielen Binnenvertriebenen konfrontiert wie die gesamte EU mit ukrainischen Geflüchteten.
Die wirtschaftliche Stabilität hänge außerdem stark von einer stabilen Energieversorgung ab. Angesichts der Tatsache, dass die diesbezüglichen Prognosen für den Winter schlechter sind als in den Jahren 2022 und 2023, setze man künftig vor allem auf dezentrale Kleingeneratoren, um Russland, das gezielt die Energieerzeugung der Ukraine attackiere, den Angriff auf das Netz zu erschweren. Langfristig werde man sich auf effizientere und nachhaltige Energiesysteme konzentrieren. In Anbetracht dessen sei der Bedarf an entsprechenden Geldanlagen und relevanten Komponenten für die Wind- und Solarenergie groß. Dem Mangel an privaten Investitionen könne potenziell mit den eingefrorenen russischen Vermögenswerten in Höhe von 50 Milliarden US-Dollar abgeholfen werden.
Eröffnet wurde die Veranstaltung von unserer Direktorin Prof. Dr. Funda Tekin, bevor Nadiya Bihun, Stellvertretende Wirtschaftsministerin der Ukraine und Maria Repko, Stellvertretende Direktorin des Centre for Economic Strategy (CES, Kyjiw), gemeinsam mit den Gästen zentrale Entwicklungen und Herausforderungen diskutierten. Moderiert wurde das Gespräch von unserer wissenschaftlichen Mitarbeiterin Laura Christoph.
Da das vom Auswärtigen Amt geförderte Projekt „UA Transformation Lab“ Ende August 2024 endet, war dies das vorerst letzte Deutsch-Ukrainische Frühstücksgespräch in Berlin.