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Orientierungslos auf der Weltbühne? Die EU-Außenpolitik zwischen China, Russland und den USA
21.04.2021

Shelagh Murphy / Unsplash
Shelagh Murphy / Unsplash

Wie viel europäische Autonomie ist notwendig und wie sollte sich die EU international positionieren? Funda Tekin, IEP, und David McAllister, CDU Auswärtiger Ausschuss haben über die Herausforderungen und Perspektiven für eine wirkungsvollere EU-Außenpolitik diskutiert.

Die Europäische Gemeinschaft sei ein „wirtschaftlicher Riese, ein politischer Zwerg und ein militärischer Wurm“ – so beschrieb es der belgische Außenminister Mark Eysken vor dem Hintergrund des Golfkriegs 1991. Seitdem hat sich einiges verändert, viele Expert*innen halten diese Analyse aber weiterhin im Kern für zutreffend. Während im Wirtschaftsbereich weitgehende Kompetenzen bei der EU-Kommission liegen, die etwa bei Verhandlungen über Handelsabkommen mit einer Stimme spricht, sind Außen- und Sicherheitspolitik weiterhin national geprägt. Dies erschwert die gemeinsame Antwort auf globale Herausforderungen, insbesondere vor dem Hintergrund zunehmender Spannungen zwischen den Weltmächten China und USA. Wie sich die EU diesen Herausforderungen trotzdem stellen kann, diskutierten Dr. Funda Tekin, Direktorin des Instituts für Europäische Politik, und David McAllister, CDU-Europaabgeordneter und Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, zusammen mit über 180 Bürger*innen.

Die EU und der „Ring of Fire“

Wenn es der EU an einer Sache nicht mangelt, dann sind es außenpolitische Herausforderungen: Teilnehmende des Bürger*innendialogs sammelten gemeinsam mit Funda Tekin und David McAllister dutzende Themenfelder, in denen sich die EU außenpolitisch positionieren muss. Dabei beschrieb McAllister das Bild eines „Ring of Fire“, der sich inzwischen rund um die EU gebildet habe: Der Ukraine-Konflikt wie auch das angespannte Verhältnis zur Türkei und die weiterhin anhaltenden Flucht- und Migrationsbewegungen um und über das Mittelmeer führen zu Instabilität in der europäischen Nachbarschaft. Funda Tekin fügte zudem mit dem speziellen Verhältnis zu Großbritannien eine weitere Herausforderung hinzu, die in Brüssel für Kopfzerbrechen sorgen dürfte.

Zugleich gibt es mit der Klimakrise und – aktuell noch unmittelbarer - mit der Coronakrise globale Probleme, die dringend effektiver internationaler Kooperation bedürfen. Die EU muss sich hier auch im Zusammenspiel der globalen Großmächte positionieren und beispielsweise das eigene Verhältnis zu China klären.

China – Konkurrent und Partner zugleich?

China hat in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur eine beispiellose wirtschaftliche Entwicklung erreicht, sondern zeigt auch verstärkt geopolitische und militärische Ambitionen. Mit dem milliardenschweren globalen Infrastrukturprogramm der „Neuen Seidenstraße“, auch Belt and Road Initiative genannt, werden wirtschaftliche, aber letztlich auch geopolitische Interessen verfolgt. Zudem gibt sich China in den Territorialkonflikten im südchinesischen Meer zunehmend selbstbewusst und dehnt seine militärischen Einflusssphären aus. David McAllister sieht China als die „größte geopolitische Bewährungsprobe des 21. Jahrhunderts“ und verwies unter anderem auf das harte Durchgreifen gegen Demokratisierungsbewegungen in Hongkong und die aggressive Politik gegenüber Taiwan. Er wirbt für eine gemischte Strategie als Antwort: Je nach Bereich sollte kooperiert, konkurriert, aber wenn notwendig auch konfrontiert werden.

Dabei werden für die EU noch viele schwierige Fragen anstehen: Wirtschaftliche Interessen stehen im Konflikt mit einer wertegeleiteten Außenpolitik, die sich etwa mit Sanktionen klar gegen Menschenrechtsverletzungen positioniert. McAllister verwies auch auf auseinandergehende Interessen zwischen der EU und den USA, wobei die EU deutlich stärker vom Handel mit China profitiere und eine eigene China-Politik verfolgen solle. Zugleich betonte er den besonderen Status der transatlantischen Beziehungen, die mit dem Amtsantritt Joe Biden vor einer neuen Phase stehen dürften.

Die Rückkehr der USA auf die Weltbühne

Die Wahl Joe Bidens zum neuen US-Präsidenten hat europaweit für Erleichterung gesorgt, da sie vor allem die Rückkehr einer gewissen Normalität und außenpolitischen Berechenbarkeit verspricht, die Donald Trump in den vier vorangegangen Jahren schwer gestört hatte. Funda Tekin hob Bidens Bekenntnis zu multilateralem Engagement hervor, gab aber zu bedenken, dass auch unter dem demokratischen US-Präsidenten eine Art „America First“-Strategie verfolgt werde, die sich etwa an den Exportverboten für Impfstoffe zeige. Zudem bedeute die Rückkehr zur Normalität auch nicht die Abkehr von Forderungen wie einer ausgeglicheneren Lastenverteilung in der NATO, die auch schon vor Trump viele US-Präsidenten geäußert hatten. Nichtsdestotrotz hat sich laut David McAllister der Ton und die Art der Zusammenarbeit grundsätzlich geändert: Es werde wieder miteinander statt übereinander geredet.

Ein herausragendes Thema in der transatlantischen Zusammenarbeit wird die Klimapolitik sein, wobei sich die USA unter Biden wieder dem Pariser Klimaabkommen verpflichtet hat. Eine gemeinsame Führungsrolle von EU und USA in Klimafragen deutet sich immer stärker an, nachdem Biden das US-Klimaziel auf seinem im April veranstalteten virtuellen Klimagipfel in etwa verdoppelte. Mit seiner „Allianz der Demokratien“ will Biden zudem wieder verstärkt für Demokratie und Menschenrechte eintreten, wobei noch offen ist, wie die Initiative genau aussehen wird.

Die Zukunft der europäischen Verteidigung

Die USA hat zwar jüngst mit der Stationierung 500 neuer Soldat*innen in Deutschland ein Bekenntnis zu ihren Bündnispartnern gesendet, trotzdem bleibt die Debatte über eine stärkere verteidigungspolitische Eigenständigkeit Europas bestehen: Sollte Europa langfristig unabhängig vom amerikanischen Schutzschirm werden?

David McAllister sprach sich klar für eine militärische Stärkung Europas innerhalb der NATO aus, die weiterhin das Fundament europäischer Sicherheitspolitik bleiben solle: „Wir bleiben transatlantisch, werden aber in den nächsten Jahren in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik europäischer werden“. Dem pflichtete auch Funda Tekin bei, die sich auf die Frage nach einer EU-Armee eher skeptisch zeigte. Hierbei müsse erst geklärt werden, welchem konkreten Zweck diese Armee dienen solle und wie über Einsätze entschieden wird. Die verschiedenen nationalen Positionen diesbezüglich und Besonderheiten wie beispielsweise der deutsche Parlamentsvorbehalt bei Bundeswehreinsätzen dürften Einigungen erschweren.

David McAllister zeigte sich erfreut über die große Zustimmung von 75 Prozent im Publikum zur Idee einer europäischen Armee. Es gäbe kaum ein anderes Politikfeld, in dem sich die Bürger*innen so stark für mehr europäische Integration begeisterten wie in der Verteidigungspolitik. Außerdem könne mehr europäische Zusammenarbeit zu einer effizienteren Ressourcennutzung führen. Zugleich sieht er noch einen weiten Weg bis zu einer europäischen Armee, wobei allerdings mit dem Austritt Großbritanniens, das sich in der Vergangenheit oft gegen verteidigungspolitische Integration gestellt hatte, neue Fortschritte ermöglicht wurden.

Die EU auf dem Weg zur „Weltpolitikfähigkeit“?

Sowohl Funda Tekin als auch David McAllister machten deutlich, dass sie das transatlantische Verhältnis und insbesondere die NATO auf absehbare Zeit als unverzichtbare Konstanten in der europäischen Außen- und Verteidigungspolitik erachten. Zugleich bestehen aber in vielen Bereichen unterschiedliche Interessen zwischen EU und USA, die eine eigenständigere Außenpolitik erfordern. David McAllister betonte hierbei, dass die EU ihr außenpolitisches Potenzial durch ihre Uneinigkeit nicht ausschöpfen könne und erinnerte an Jean-Claude Junckers Forderung, die EU müsse „weltpolitikfähig“ werden. Dafür müsste das Einstimmigkeitsprinzip zumindest in einigen Bereichen abgelegt werden, sodass nicht mehr jeder der 27 Mitgliedstaaten über ein Vetorecht verfügt. McAllister warb zudem für die Idee eines europäischen Sicherheitsrats mit Vertreter*innen aus einer kleineren Gruppe rotierend wechselnder Mitgliedsländer, der schnelleres außenpolitisches Handeln ermöglichen soll.

Möglicherweise kann die anstehende Konferenz zur Zukunft Europas, während der die europäischen Bürger*innen ihre Ideen für die Entwicklung der EU einbringen können, auch zu einer neuen Dynamik in der europäischen Außenpolitik führen. Es mangelt weder an Ideen noch an Herausforderungen – allerdings müssten einige Mitgliedstaaten über ihren Schatten springen und auch in diesem wichtigen Politikbereich eine weitere Europäisierung zulassen.

Team & Autor:innen

Über das Bürgerdialoge Projekt: Bürger:innen sprechen mit Expert:innen und Politiker:innen in unabhängigen, sachlichen und ergebnisoffen Diskussionen. Ziel ist die Teilhabe am europäischen Projekt sowie die kritische und konstruktive Begleitung des aktuellen Diskurses.

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Bild Copyright: Shelagh Murphy / Unsplash