Infolge der Europawahl 2024 ist die Europäische Union nach rechts gerückt. Diese und weitere Implikationen werden im Free-Content-Beitrag analysiert: Manuel Müller wirft einen umfangreichen Blick auf die wichtigsten Aspekte, die die Wahl geprägt und die politischen Konstellationen der neuen Legislaturperiode beeinflusst haben.
Weitere Aufsätze beschäftigen sich mit Entwicklungen der letzten EU-Legislatur: Zum einen mit der Schuldenfinanzierung des EU-Haushalts durch Fonds wie NextGenerationEU und deren mögliche Fortführung. Zum anderen wird die Sozialpolitik der letzten Kommission Ursula von der Leyens in einem Aufsatz analysiert. Thema des Hefts ist ebenfalls die Außenpolitik der EU: Während ein Aufsatz die Klima-Soft-Power der EU am Beispiel der Beziehungen zu Südkorea analysiert, fragt ein Forumsbeitrag nach den Voraussetzungen und Chancen feministischer Außenpolitik als ein realisierbares Ziel für die EU.
Der Tagungsbericht reflektiert die IEP-Jahrestagung 2024. In diesem Jahr stand die Zukunft der EU zur Diskussion, bezüglich ihrer internen Herausforderungen, aber auch ihrer Beziehungen zur Nachbarschaft im Kontext der Erweiterung und ihrer Position auf der internationalen politischen Bühne.
Die Europawahl 2024: Mehr als ein Rechtsruck
Manuel Müller
Bei der Europawahl 2024 gewannen Rechtsaußenparteien in zahlreichen Mitgliedstaaten hinzu und erreichten in der Summe einen höheren Sitzanteil im Europäischen Parlament als je zuvor. Zugleich veränderte der viel diskutierte Aufstieg der Rechten auch die Debatte der übrigen Parteien und führte zu einem Ende des Konsenses über die „Brandmauer“ im Europäischen Parlament. Der Rechtsruck war jedoch nicht das einzige besondere Merkmal dieser Europawahl. Dieser Beitrag analysiert überblicksartig zentrale Aspekte, die die Wahl prägten und sich auf die politischen Konstellationen in der neuen Wahlperiode auswirkten.
Die Schuldenfinanzierung von NextGenerationEU: Gekommen um zu bleiben?
Friedrich Heinemann
Mit NextGenerationEU (NGEU) ist es erstmals zu einer makroökonomisch bedeutsamen Verschuldung über den EU-Haushalt gekommen. Dabei ist kontrovers, ob dies den Einstieg in eine stetige EU-Verschuldung markiert. Dieser Beitrag analysiert die Interessenlage der Mitgliedstaaten und europäischen Institutionen im Hinblick auf eine mögliche Verstetigung. Die Analyse differenziert gemäß NGEU-Struktur zwischen neuen EU-Schulden, die für Kredite an Mitgliedstaaten, für Zuschüsse an Mitgliedstaaten und für EU-Programme genutzt werden. Es zeigt sich, dass die unerwartet hohen Finanzierungkosten der Europäischen Union die ersten beiden Verwendungen wenig attraktiv erscheinen lassen. Gegen die dritte Option sprechen neben diesen Kosten der Fokus der Mitgliedstaaten auf Rückflüsse und der eher abnehmende Grundkonsens über wünschenswerte europäische öffentliche Güter. Die Analyse kommt zu dem Schluss, dass neue EU-Schulden in einer NGEU-Größenordnung ohne den Katalysator einer akuten Krise wenig wahrscheinlich sind.
Vorübergehende Aufwertung oder nachhaltige Neuausrichtung? Europäische Sozialpolitik unter der ersten Von-der-Leyen-Kommission
Jana Windwehr und Torben Fischer
In diesem Beitrag geben wir einen systematischen Überblick über die Entwicklungen im Bereich der europäischen Sozialpolitik unter der ersten Von-der-Leyen-Kommission. Wir analysieren die Entwicklungen in den Bereichen der regulativen, distributiven und koordinierenden EU-Sozialpolitik. Darauf aufbauend untersuchen wir die Rolle der VdL-Kommission als sozialpolitischer Akteur, indem wir ihre Fähigkeit analysieren, innovative Politiken zu formulieren und umzusetzen. Dabei zeigt sich, dass die VdL-Kommission in allen Bereichen Akzente setzen konnte, die die unter der Juncker-Kommission begonnene Revitalisierung des Sozialen Europas weiter verstärkt haben, mit dem Ergebnis einer Abschwächung, nicht aber einer Aufhebung der institutionellen Asymmetrie zwischen wirtschaftlicher und sozialer Integration. Die VdL-Kommission erwies sich als zentraler Akteur, allerdings getragen von einer spezifischen politischen Konstellation in der COVID-19-Pandemie, sozialpolitisch engagierten Ratspräsidentschaften und einer engen Abstimmung mit gewerkschaftlichen Akteuren.
Die Europäische Union als Normunternehmerin in Ostasien: Europas Klima-Soft-Power in Südkorea
Olaf Leiße, Michael Merkel und Levi Schlegtendal
Die Europäische Union und Südkorea unterhalten seit mehr als 60 Jahren intensive Beziehungen, die auf politischer, wirtschaftlicher und sicherheitspolitischer Ebene institutionalisiert sind. Beide Seiten sind sich in Bezug auf Werteorientierung, Wirtschaftsordnung, politisches System und staatliche Kapazitäten sehr ähnlich und verfolgen häufig gemeinsame Interessen auf globaler Ebene. Dieser Artikel untersucht die Hypothese, dass der Einfluss eines mächtigeren Akteurs umso größer ist, je stärker die politischen Systeme der beteiligten Staaten übereinstimmen, ihre Wirtschaft verflochten und die politischen Beziehungen institutionell gefestigt sind. Anhand der Klimaaußenpolitik zwischen der EU und Südkorea wird gezeigt, dass die EU in der Lage ist, aufgrund ihrer engen Handelsziehungen und der Institutionalisierung der politischen Kooperation Anpassungsdruck auch auf Staaten jenseits ihrer direkten Nachbarschaft auszuüben. Darüber hinaus entsteht mittlerweile auf zivilgesellschaftlicher Ebene in Südkorea eine Klimaschutzbewegung nach europäischem Vorbild.
Eine feministische Außenpolitik der Europäischen Union: Voraussetzungen und Chancen
Claudia Zilla
In den vergangenen zehn Jahren haben sich immer mehr Staaten zu einer feministischen Außenpolitik bekannt. Die Zusammenarbeit in diesem Bereich zwischen staatlichen, zivilgesellschaftlichen und wissenschaftlichen Akteur:innen entwickelt sich sehr dynamisch. Vor diesem Hintergrund und angesichts eines wachsenden Gender- und Inklusionsbewusstseins in der Europäischen Union wird zunehmend die theoretische und empirische Frage aufgeworfen, inwieweit eine feministische Außenpolitik auch für die EU ein realisierbares Projekt sein kann. Neben institutionellen Aspekten wird dies derzeit jedoch durch parteipolitische Entwicklungen auf der Ebene der EU und ihrer Mitgliedstaaten sowie durch die Geopolitisierung internationaler Politik und der EU selbst erschwert.