Es sind schwierige Zeiten für die deutsch-ungarischen Beziehungen. Die illiberale Demokratie Orbáns und der harsche Umgangston auf dem internationalen Parkett lassen die politischen Kontakte zunehmend erkalten. Darüber hinaus scheint es an einer gemeinsamen Wertebasis zu fehlen, welche jedoch für eine engere Kooperation beider Regierungen auch auf europäischer Ebene fundamental ist. Die TeilnehmerInnen der Tagung mahnen zu mehr Verständnis und Empathie auf beiden Seiten. Gleichzeitig sehen sie gegenwärtig nur in wenigen Bereichen Möglichkeiten einer vertieften deutsch-ungarischen Zusammenarbeit.
Über zwei Tage und drei Paneldiskussionen widmeten sich VertrerInnen aus Politik, Verwaltung und Wissenschaft den deutsch-ungarischen Regierungsbeziehungen im Kontext aktueller Herausforderungen innerhalb und außerhalb der Europäischen Union.
Gegenseitiges Misstrauen und ein fehlendes Wertefundament.
Bei der Bestandsaufnahme zu den bilateralen Beziehungen konstatierten die DiskutantInnen eine tiefe kulturelle und wirtschaftliche Verbindung beider Länder. Auf Verwaltungsebene funktioniere die Zusammenarbeit gut. Nicht von der Hand zu weisen seien jedoch die negativen Entwicklungen der letzten Jahre in den Regierungsbeziehungen zwischen beiden Ländern, welche nicht länger auf einer gemeinsamen Wertebasis fußten. Gegenwärtig stünde einer engeren Kooperation der taktisch eingesetzte Nationalismus und das Streben nach einer illiberalen Demokratie des ungarischen Premierministers Viktor Orbán entgegen. Von wissenschaftlicher Seite wurde die Frage aufgeworfen, inwieweit eine illiberale Demokratie überhaupt möglich sei. Wenig förderlich sei auch die Schaffung von politischen Feindbildern durch die Fidesz-Regierung. So sei in letzter Zeit die Europäische Kommission als Feind des ungarischen Volkes dargestellt worden. Gleichzeitig wurde deutlich, dass Missverständnisse und Empathielosigkeit die Beziehungen belasteten. So würden die Wunden, die der Sozialismus den Ungarn zugefügt hat, vom Westen häufig ignoriert. Das gegenseitige Verständnis für die Hintergründe und Bedürfnisse des Anderen sei daher für eine Besserung der bilateralen Beziehungen unerlässlich.
Im Gegensatz zu Deutschland zeigt sich Ungarn bei EU-Reformen wenig kompromissbereit und die innereuropäischen Zentrifugalkräfte drohen, den Reformprozess weiter zu bremsen.
Mit Blick auf die Reformoptionen der EU-27 wurden die Zentrifugalkräfte innerhalb Europas als große Hürde ausgemacht, die zu einem Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten führten und die Mitgliedstaaten weiter auseinandertrieben. Diese Entwicklung ließe unter anderem auch die ungarische Regierung bei europäischen Großprojekten auf die Bremse treten. Hierdurch seien deutsch-ungarische Regierungskooperationen auf europäischer Ebene insgesamt sehr begrenzt. Abgesehen von Reformen der Eurozone sei die ungarische Regierung sehr schwer in Konsensentscheidungen einzubinden. Kontrovers wurde die Frage diskutiert, ob die Einführung einer Quote zur Aufnahme von Flüchtlingen mit Mehrheitsentscheid ein politischer Fehler gewesen sei. Hier überwogen die skeptischen Stimmen bezüglich einer Durchsetzung der Quote. Die Gemeinsame Europäische Asylpolitik gehört zu den Feldern, in denen die ExpertInnen keine Kompromissbereitschaft der ungarischen Regierung erkennen. Unklar war sich die Runde in der Frage nach Sanktionen gegen den Mitgliedstaat Ungarn aufgrund von Verletzungen der Rechtsstaatlichkeitsprinzipien nach Artikel 7 EUV.
Deutsche und ungarische Regierungsinteressen divergieren zusehends. In nur wenigen außenpolitischen Fragen sehen die ExpertInnen Potenzial für eine engere Zusammenarbeit.
Stellte die deutsche Bundesregierung für die ungarische Außenpolitik noch bis vor wenigen Jahren einen Bezugspunkt dar, so befindet sich die ungarische Regierung gegenwärtig auf einem Konfrontationskurs mit Deutschland. Vor allem mit Blick auf die Migrationsfrage und die Ukrainekrise wird dies deutlich. Bei der aktuellen Vetopolitik der ungarischen Regierung auf europäischer Ebene stelle eine Blockade der Russlandsanktionen eine rote Linie dar, deren Überschreitung Ungarn in der europäischen Gemeinschaft isolieren würde. Während die DiskutantInnen übereinkamen, dass Ungarn die Verlängerung der Russlandsanktionen im Dezember 2018 vermutlich noch mittragen würde, war das Votum ob es dies auch täte, wenn andere Mitgliedstaaten, etwa Italien, gegen die Sanktionen stimmen würden, uneinheitlich. Auch in der EU-Erweiterungspolitik, in der Ungarn insbesondere im westlichen Balkan viele Jahre eine wichtige und aktive Rolle spielte, ziehe sich die ungarische Regierung eher zurück. In dieser Region stelle sie für die Bundesregierung daher keinen verlässlichen Partner mehr dar. Dennoch gebe es beispielsweise beim Thema Grenzschutz und der Bekämpfung von Fluchtursachen gemeinsame Interessen. Einer engeren Kooperation würden jedoch die unterschiedlichen Herangehensweisen der Regierungen entgegenstehen.
Einvernehmlich bekräftigten die Teilnehmer die Notwendigkeit der Fortsetzung des Dialogs. Der Gesprächsfaden zwischen Deutschland und Ungarn dürfe auch in schwierigen Zeiten nicht abreißen. Die Expertentagung, die dank der Unterstützung durch die Thüringer Staatskanzlei und das Auswärtige Amt stattfinden konnte, war durch einen konstruktiven Dialog und lebhaften Diskussionen auch am Rande der Veranstaltung und während des Abendempfangs beim Thüringer Ministerpräsidenten Bodo Ramelow geprägt. Somit konnte das Deutsch-Ungarische Expertentreffen durch seinen informierten und wissenschaftlich fundierten Austausch einen Beitrag zum Verständnis der gegenseitigen Position leisten.
Autor: Jan-Hendrik Rohlfs