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V. Deutsch-Italienisches Gesprächsforum
03.12.2004

Deutschland und Italien: Partner in einer sich wandelnden EU und bei der Bewältigung globaler Herausforderungen.

Deutschland und Italien: Partner in einer sich wandelnden EU und bei der Bewältigung globaler Herausforderungen.

Das V. Deutsch-Italienische Gesprächsforum widmete sich – wie seine abwechselnd in Italien und Deutschland stattfindenden Treffen der Vorjahre – erneut dem Ziel, die vielfältigen Beziehungen zwischen Italien und Deutschland durch einen intensiven Dialog von Persönlichkeiten des politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Lebens beider Länder zu fördern und das seit Jahren bestehende Netzwerk von Kontakten zu pflegen und auszubauen. Dabei wird der Rolle Italiens und Deutschlands im europäischen und internationalen Kontext stets besondere Aufmerksamkeit gewidmet.

Die ca. 150 Teilnehmer hatten an zwei Tagen reichlich Gelegenheit, sich im Rahmen von Plenarsitzungen und Arbeitsgruppen sowie am Rande der Sitzungen und auch anlässlich des von S.E. dem Botschafter der Italienischen Republik in Berlin, Dr. Silvio Fagiolo, gegebenen Abendessens u.a. über folgende Themen (siehe auch das beigefügte Programm) auszutauschen:

  • Europas Wettbewerbsfähigkeit und Sozialmodell
  • Europäische Handlungsfähigkeit in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik
  • Perspektiven der Europäischen Verfassung
  • Fragen der Erweiterung
  • Europäische Nachbarschaftspolitik.

Schwerpunkte in der Eröffnungsdebatte der Plenarsitzung

Zahlreiche Redner würdigten – den Eingangsstatements von Staatssekretär Dr. Klaus Scharioth und des ehemaligen italienischen Außenminister Lamberto Dini folgend – die traditionell wenig konfliktreiche, solide deutsch-italienische Partnerschaft und den Interessensgleichklang in den meisten EU-bezogenen Themen (z.B. Europäischer Konvent und Verfassungsvertrag) und in den strategischen Fragen der internationalen Politik. Unter Freunden – so der allgemeine Tenor – müsse es möglich sein, Differenzen offen anzusprechen und auch fallweise unterschiedlicher Meinung zu sein. Das offenkundigste aktuelle Beispiel liefere hierfür das deutsche Streben nach einem Ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, das von italienischer Seite kritisch bis ablehnend und als nicht vereinbar mit den eigenen Reformüberlegungen bezüglich des Sicherheitsrates betrachtet werde. Demgegenüber teilen beide Länder eine enge Verknüpfung des europäischen Integrationsprozesses mit den transatlantischen Beziehungen und sehen europäische Lösungen gegenüber nationalen Schritten als vorrangig an, etwa bei der Bewältigung der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus oder bei dem Problem der Migration aus dem Mittelmeerraum und den östlichen Nachbarstaaten.

Beide Länder haben sich seit jeher für die Überwindung der Teilung Europas engagiert und teilen eine offene Haltung in Fragen der Erweiterungspolitik der Union, einschließlich einer künftigen EU-Mitgliedschaft der Türkei. Gleiches gilt für die neue Europäische Nachbarschaftspolitik, die während der Tagung des Forums durch die politischen Vorgänge in der Ukraine (Nichtanerkennung der Ergebnisse der ersten Präsidentschaftswahl) und die Vermittlungsbemühungen des Hohen Vertreters für die GASP besonders akzentuiert wurde.

Hinsichtlich der wirtschaftlichen Rahmendaten und Potenziale in Deutschland und in Italien sowie in der Europäischen Union insgesamt fiel die Beurteilung durch die Teilnehmer des Gesprächsforums unterschiedlich aus sowohl zwischen Vertretern aus beiden Ländern wie auch zwischen Vertretern unterschiedlicher Branchen und/oder Rednern verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen und aus dem politischen Bereich. Etliche italienische Teilnehmer neigten in ihren Einschätzungen zu etwas größerem Optimismus, andere äußerten Bedenken über den wachsenden Anteil von Schattenwirtschaften und konstatierten ein sich verstärkendes Misstrauen gegenüber staatlichen Entscheidungen. Wiederum andere verwiesen zusammen mit deutschen Rednern auf die gravierenden Strukturprobleme in beiden Ländern sowie die Probleme des Steuer- und Sozialdumpings in insbesondere auch neuen Mitgliedstaaten und die Folgen des Aufstiegs früherer Schwellenländer auf den Märkten. Aufgrund von fundamentalen Veränderungen der weltwirtschaftlichen Architektur stellten einige Redner die Frage nach den noch verbleibenden „assets“ für Unternehmen in Deutschland und Italien und empfahlen den noch bestehenden Wissensvorsprung/Know-how für die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu nutzen.

Vielfach wurde von Vertretern der Wirtschaft beider Länder ein Versagen oder zumindest eine Diskrepanz zwischen den Zielen und den Ergebnissen der nationalen wie europäischen Politik ausgemacht. Während einige, insbesondere aus dem politischen Bereich, die Notwendigkeit europäischer Rahmenbedingungen unterstrichen, kritisierten andere z.B. die Diskrepanz zwischen den Zielen (z.B. Lissabonstrategie), einem mangelnden Fahrplan der EU und den den Unternehmen abverlangten Reformprozessen. Beide Länder könnten sich – so eine weitere Anregung – in der EU verstärkt bei der Steuerharmonisierung engagieren. Ein gemeinsames deutsch-italienisches Auftreten bei den Verhandlungen um die nächste finanzielle Vorausschau der EU ab 2007 sei als Nettobeitragszahler sinnvoll und erwartbar. Gleiches gelte für die Verhandlungen auf internationaler Ebene sowie gegenüber den USA, um eine bessere Arbeitsteilung und Zusammenarbeit zwischen der EU und den USA zu ermöglichen.


Aus den Arbeitsgruppen

Zum Thema: Europäische Handlungsfähigkeit in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik – bisher Erreichtes und Defizite in GASP und ESVP

Plenum Arbeitsgruppe I: GASP und ESVP

In der Debatte über die Leistungsfähigkeit der EU in der internationalen Politik wurde allgemein anerkannt, dass die EU auf dem besten Weg ist, sich zu einem weltpolitischen Akteur zu entwickeln. Dies sei vor dem Hintergrund der fortschreitenden Globalisierung, an deren Mitgestaltung sich die EU zu beteiligen habe, unausweichlich und werde zunehmend auch von der europäischen Bevölkerung (wie Meinungsumfragen bestätigen) erwartet. Dies –so eine wiederholte Forderung – müsse in Absprache mit den Vereinigten Staaten erfolgen und nicht im Sinne einer sich von der gemeinsamen Werte- und Interessenübereinstimmung zwischen der EU und den USA entfernenden europäischen Großmacht. Der Konflikt in der Irak-Frage habe ein warnendes Beispiel geliefert.

Gleichzeitig habe das Auseinanderdriften der Europäer im Krieg gegen Irak nicht die Skeptiker bestätigt, wonach die Europäer eine konstruktive Kooperation nie bewerkstelligen könnten, sondern im Gegenteil zu vereinten Anstrengungen geführt, das außenpolitische Profil der EU zu verbessern. Am deutlichsten fände dies seinen Niederschlag in den Bestimmungen des Verfassungsvertrages. Zwar wurde bedauert, dass auch nach den neuen Bestimmungen noch immer das Einstimmigkeitsprinzip dominant sein werde, auch wenn es über die sg. neu eingeführte Passerelle-Klausel dem Europäischen Rat in bestimmten Fällen möglich sein werde, Mehrheitsbeschlüsse einzuführen und das starre System in der GASP aufzulockern. Hoffnung setze man insbesondere in das Amt des vorgesehenen Europäischen Außenministers für eine erhebliche Effizienzsteigerung des Instrumentariums (durch Kohärenz, Transparenz und die Bündelung von Kompetenzen). Als mindestens ebenso bedeutend wurden die Ergebnisse bei der ESVP bewertet (Ausweitung der Petersberg- Aufgaben, Solidaritätsklausel, neue Formen einer flexiblen Zusammenarbeit).

Als weitere Pluspunkte für die GASP wurden ferner genannt: der internationale Strafgerichtshof, die Balkanpolitik der EU, die Roadmap für den Nahen Osten, die Einigung mit Iran über seine Atompolitik, die Fortbildung der ESVP und insbesondere die Kooperation im Rahmen des militärischen und zivilen Krisenmanagements, wie etwa die Übernahme der SFOR-Mission in Bosnien durch die EU verdeutlicht. Der immer noch risikobelastete Balkan und die Nachbarschaftspolitik mit Osteuropa und dem Mittelmeer sowie die Stabilisierung der Ukraine gelten auch für die künftige GASP als wichtige Handlungsfelder. Dabei bedürfe es europäischer Glaubwürdigkeit und die EU müsse Antworten darauf geben, welche Anreize sie den Drittländern ohne Beitrittsperspektive bieten könne.

Mit Blick auf die wachsenden Anforderungen an die ESVP wurde auch Kritik am Vorgehen der Mitgliedstaaten laut. Im Zuge von Haushaltskonsolidierungen würden diese gerade zum falschen Zeitpunkt bei den Militärausgaben kürzen. Die Verteidigungspolitik sei im Haushaltsbereich maßgeblich von den Mitgliedstaaten abhängig, diese würden auch stark die Personalpolitik beeinflussen. Zur Verbesserung der bestehenden Strukturen wurde eine konstruktivere Zusammenarbeit zwischen zivilen und militärischen Diensten, welche sich neben ihren bisherigen Tätigkeitsbereichen auch stärker auf humane Aspekte konzentrieren sollten, gefordert. Schließlich verlangte man von den Mitgliedstaaten, im technischen Bereich stärker zu kooperieren und die Rüstungsagentur zu nutzen. Positiv bewertet wurde die Schaffung der „Battle Groups“, wo Kernkapazitäten konzentriert werden müssten, um eine bessere Handlungsfähigkeit zu erreichen (Konzept: 1-2 große Staaten übernehmen die Führung einer multinationalen Truppe und werden dabei von 1-2 kleinen Staaten unterstützt). So könnte auch das Problem von Kommunikationsschwierigkeiten multilingualer Truppen gering gehalten werden. Transparenz und eine bessere Aufklärung der Öffentlichkeit waren weitere Aspekte, die immer wieder als Voraussetzungen für die Stärkung des bisher Erreichten im Bereich der ESVP angeführt wurden.


Zum Thema: Perspektiven der Europäischen Verfassung – Ratifzierungs- und Implementierungsfragen

Plenum Arbeitsgruppe II: Europäische Verfassung

In der Arbeitsgruppe II diskutierten die Teilnehmer zunächst Stärken und Schwächen des erreichten Reformprozesses und des neuen Verfassungsvertrages. Dabei nahm man die vergangenen ereignisreichen Monate zum Anlass, um einige wichtige Fortschritte etwa in Richtung einer Parlamentarisierung der Union nachzuweisen. Erste Zeichen einer echten Parlamentarisierung und Demokratisierung der Europäischen Union habe die Investitur des Kommissionspräsidenten, bei der sich die EVP-Fraktion mit ihrem Kandidaten Barroso gegenüber Widerständen im Europäischen Rat durchsetzen konnte, und die Verweigerung des Europäischen Parlaments, die erste Barroso- Kommission einzusetzen, geliefert. Außerdem hatte nach Meinung von Teilnehmern das „Hickhack“ um den italienischen Kandidaten Butiglione für die neue Kommissionsmannschaft etwas weiteres Positives: überall in Europa hätten die heftigen Reaktionen einen wichtigen Beitrag zur politischen Diskussion und zur Herausbildung einer europäischen Öffentlichkeit geleistet.

In der Frage möglicher Szenarien für den weiteren Verlauf des Ratifizierungsprozesses in den EU-Mitgliedstaaten zeigte man sich zunächst sehr erleichtert über den positiven Ausgang der Mitgliederbefragung der französischen Sozialisten. Mit deren Zusage das EU-Referendum in Frankreich zu unterstützen, das voraussichtlich im zweiten Halbjahr 2005 stattfinden wird, könne man dem Ratifizierungsprozess insgesamt zuversichtlicher entgegensehen. Gleichzeitig wurde davor gewarnt, in jedem Land den Bürgern etwas anderes über die Verfassung zu erzählen. Die Gefahr der Verbreitung von Falschinformationen sei dabei sehr groß. Um dieser vorzubeugen, mahnten Teilnehmer an, die Europäische Kommission solle sich aus ihrer passiven Haltung lösen und aktiv den Ratifizierungsprozess in den einzelnen Mitgliedstaaten unterstützen. Andere Redbeiträge hoben ab auf den Stellenwert des Ratifizierungsprozesses als ein Prüfstand für die Beziehungen der Länder untereinander. Alte und bekannte Probleme würden dabei deutlich zutage treten. Deutschland und Italien seien in dieser Hinsicht unproblematisch. Auch wenn kurzzeitig in beiden Staaten über die Ratifizierung per Referendum diskutiert worden sei, sei in Deutschland ein Referendum bisher nicht vorgesehen und in Italien eine Volksbefragung zu internationalen Verträgen ausgeschlossen. Befürworter von Referenden wollten jedoch nicht auf den Hinweis verzichten, dass hierdurch durchaus eine konstruktive Debatte über Europa zwischen den Regierenden und den Bürgern erreicht werden könne. Exemplarisch erwähnt wurde die aktuelle Situation in Großbritannien und Tschechien.

Zu den bekannten Grundsatzfragen gehört jene, inwieweit staatliche Souveränität an die Europäische Union abgegeben wird. Die Anwendung der qualifizierten Mehrheit gefährde potenziell eine Minderheit der Staaten hinsichtlich ihrer Souveränität. Auch wenn der Verfassungsvertrag gleichzeitig die europäischen Bürgerrechte stärke, so sei doch nicht sicher, ob dies jene Einschränkung an staatlicher Souveränität heile. Allerdings sei die wachsende Verschränkung zwischen Staaten- und Bürgerunion eine der positivsten Entwicklungen in der Europäischen Integration. Der Ratifizierungsprozess werde zur Verfestigung beider Stränge beitragen. Damit scheine der Verfassungsvertrag den jahrzehntelang geführten Streit um das Ziel – Staatenbund oder Bundesstaat – in einer völlig anderen Form dauerhaft gelöst zu haben. Diesen Punkt aufgreifend, bezeichnete ein anderer Redner die Europäische Union als postmodernen Staat, der nicht mehr in die Kategorie der Nationalstaaten einzuordnen sei. Allerdings sei dies nicht der wesentliche Punkt, um den sich die wissenschaftliche und politische Debatte drehen sollte. Man müsse sich sowohl in der jetzigen als auch in einer zukünftigen Union vielmehr um höhere oder niedrigere Transaktionskosten Gedanken machen. In Anlehnung an Douglas North, der die Transaktionskosten in den USA bei circa 25% und in der Europäischen Union bei 40% einstuft, wurde in dieser Logik für eine Verringerung der Kompetenzen der Mitgliedstaaten plädiert. Des Weiteren sei der Wettbewerb unter den Staaten ein vernachlässigter Punkt. Ein verstärkter territorialer Wettbewerb innerhalb der Europäischen Union stelle ein Schlüsselelement dar, um die zukünftigen Herausforderungen der Globalisierung zu meistern. Die bisherige Strategie der EU–Harmonisierung, die vor allem historisch motiviert sei und den Wettbewerb reduzieren wolle, sei zu überdenken, da ansonsten die Gefahr einer zu starren Union wachse. Die britische Diskussion um die Verfassung sei Ausdruck unter anderem genau dieser Angst – eines Verlusts an Wettbewerbsfähigkeit. Andere Redner verwiesen darauf, dass ein territorialer Wettbewerb politisch so nicht gewollt sei und zum anderen die Globalisierung teilweise Wettbewerb erzeuge, vor dem die europäische Bevölkerung geschützt werden müsse, da er „perverse Züge“ annehmen könne. Die Gefahr einer Zerstückelung Europas sei dabei zu groß.


Abschlussplenum

Im abschließenden Plenum des V. Deutsch-Italienischen Gesprächsforums standen die aktuelle Rolle der Europäischen Union im internationalen Kontext sowie deren zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten angesichts der Herausforderung nach der Vergrößerung auf 25 Mitgliedstaaten im Mittelpunkt der Diskussionen.

Nach einer Einführung zum Abschlussplenum durch den deutschen Präsidenten des Forums, Dr. Ulrich Weiss, wurde von den meisten Rednern unterstrichen, dass die EU in den Bereichen besonders wahrgenommen wird, in denen die Mitgliedstaaten „an einem Strang ziehen“, wie etwa im Rahmen der Handelspolitik, aber auch zunehmend bei GASP und ESVP. Gerade hier werde die „Verfassung“ eine wichtige Grundlage bilden, die der EU außenpolitisch zu mehr Gewicht verhelfen könne. Nach der Erweiterung wachse die Bedeutung einer aktiven Mitarbeit der einzelnen Mitgliedstaaten. Die weitere Vertiefung der Zusammenarbeit und das Vorantreiben der einstigen Visionen sei nach wie vor von großer Bedeutung. Italien und Deutschland komme hierbei eine Schlüsselrolle zu. Der Grundgedanke der europäischen Integration entspreche sich in dieser starken Ausprägung nur zwischen diesen zwei Partnerländern, so die durchgängige Meinung der Konferenzteilnehmer.

Panel "Erweiterung, Nachbarschaftspolitik, Weltpolitik - Herausforderungen der EU-25"

Auch im Hinblick auf die Türkeifrage herrsche bei den Regierenden in Rom und Berlin ein großer Interessengleichklang, während die öffentliche Debatte in beiden Ländern starke Kritik an einer solchen Erweiterungsrunde erkennen lasse. Die Erweiterung der EU um Rumänien, Bulgarien und die Türkei werde – wie verschiedene Redner feststellten - eine neuerliche Anpassung der europäischen Institutionen erfordern. Diese werde – wie schon bisher – maßgeblich von den unterschiedlichen Traditionen und Leitbildern in den EU-Mitgliedstaaten geprägt sein und eine beträchtliche Herausforderung für jede weitere Entwicklung der europäischen Integration darstellen. Bevor weitere Beitrittsperspektiven eröffnet würden, so ein anderer Diskussionsstrang, müsse nun zunächst eine Phase der Konsolidierung folgen. So sei die Annahme der „Verfassung“ gefährdet, solange z.B. keine tragfähige Lösung für die Agrar- und Strukturreform existiere. Des weiteren sei zunächst innerhalb der Mitgliedstaaten eine Diskussion über künftige Beitritte zu führen. Eine EU-Mitgliedschaft müsse dann letztendlich nicht nur der Türkei, sondern auch der Ukraine und vielen anderen Nachbarstaaten angeboten werden. Die strategische Bedeutung der Türkei dürfe mit Blick auf das Verhältnis der EU zu islamischen Staaten allerdings nicht unterschätzt werden.

Die Europäische Nachbarschaftspolitik wurde als ein weiteres wichtiges Handlungsfeld für die EU identifiziert. Auch hier konnte eine große Übereinstimmung zwischen den deutschen und italienischen Positionen konstatiert werden. Gleichzeitig wurde vor allem von italienischer Seite betont, dass die Europäische Nachbarschaftspolitik vor Problemen stehe, denen nur begegnet werden könne, indem zwischen den zwei Kategorien von Nachbarn – Ost- sowie Süd-Anrainerstaaten – differenziert werde. Zugleich, so eine andere Forderung, müsse Russland stärker in die Überlegungen einbezogen werden, da „der Hinterhof der EU in vielen Fällen der Vorhof Russlands“ sei.

Die transatlantischen Beziehungen nahmen ebenfalls breiten Raum in der Debatte ein. Während einige Teilnehmer eine gute Verbindung insbesondere im wirtschaftlichen Bereich erkannten und auch weiterhin als vorrangig bedeutend beurteilten, betonten andere den Mangel an politischer Zusammenarbeit. So sei die derzeitige Arbeitsteilung im politischen Bereich schädlich für die weitere Entwicklung des Friedensprozesses im Nahen Osten. Daneben variierte die grundsätzliche Beurteilung der transatlantischen Beziehungen enorm. Neben der Bezeichnung „selbstverständliche, gute Partnerschaft“ fielen auch Begriffe wie „Konkurrenzverhältnis“ – z.B. im Hinblick auf Russland. Auch von einer zunehmenden Distanz zwischen Europa und den USA war die Rede. Diese betreffe nicht nur die Regierungszusammenarbeit, sondern auch die gegenseitige Wahrnehmung auf Seiten der Bevölkerung. Als Begründung wurde die geänderte amerikanische Politik gegenüber der europäischen Integration angeführt. Zu Zeiten Kennedys seien die USA weitaus europäischer geprägt gewesen als heute. Das Leben junger Amerikaner unterscheide sich heute stark von dem junger Europäer. Es fehle das „Bindemittel“, die gemeinsamen Werte, die früher beispielsweise aus der gemeinsamen Opposition zum Kommunismus resultierten. Folglich müsse sich Europa heute wieder verstärkt gemeinsam und neu positionieren. Die Identität einer europäischen Außenpolitik könne nur erlangt werden, wenn sich Europa als autonomes Subjekt gegenüber den USA begreife. Natürlich beinhalte eine solche gemeinsame Positionierung keine Nivellierung, sondern einen „Gleichgewichtszustand“, entstanden aus der Vielfalt europäischer Werte. Dieser Ansatz müsse nicht nur Washington gegenüber kommuniziert werden, sondern gerade auch intern – insbesondere gegenüber den neuen Mitgliedstaaten. Da die EU noch kein vollständiger sicherheitspolitischer Akteur sei, sei die Hinwendung kleiner und östlicher Mitgliedstaaten zu den USA keine Überraschung.


Ausblick

Die breite Übereinstimmung in Italien und Deutschland bei zentralen europäischen Anliegen macht beide Länder zu wichtigen Akteuren, um den Fortgang des europäischen Integrationsprozesses sicherzustellen und zu beeinflussen. Auf beiden Seiten genießt die enge Einbindung in die europäischen Strukturen einen hohen Stellenwert für das eigene Handeln. Ein kontinuierlicher Meinungsaustausch und ein abgestimmtes Verhalten mit „gleichgesinnten“ Partnern werden vor dem Hintergrund einer sich stetig erweiternden Union einen noch höheren Stellenwert erhalten. Das Deutsch-Italienische Gesprächsforum bietet hierfür eine ausgezeichnete Plattform. Es ermöglicht einen offenen und kontinuierlichen Dialog, auch über kontrovers diskutierte Themen, zwischen Persönlichkeiten unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen sowie des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens. Die große Resonanz bei den Teilnehmern des V. Gesprächsforums und die Intensität der Diskussion bestärken die Veranstalter zur Fortsetzung des Dialogs in 2005/2006.

Vor diesem Hintergrund debattierten die Teilnehmer z.B. auch über das deutsche Streben nach einem Ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, das von italienischer Seite kritisch betrachtet wird. Im Hinblick auf die Europäische Nachbarschaftspolitik wurde die Frage nach den weiteren Transformationsentwicklungen in der Ukraine aufgeworfen und das künftige Verhältnis der EU zu diesem Land thematisiert. Zum Zeitpunkt des Gesprächsforums kämpfte allerdings die ukrainische Bevölkerung noch für eine Annullierung des umstrittenen Ergebnisses der Präsidentschaftswahlen, die letztlich am 26. Dezember 2004 wiederholt wurden.

In Fragen der Erweiterungspolitik der EU – insbesondere bezüglich einer Mitgliedschaft der Türkei – herrschte große Übereinstimmung zwischen den meisten deutschen und italienischen Teilnehmern, so dass dem kurz bevor stehenden EU-Gipfel in Brüssel mit positiven Erwartungen entgegen gesehen wurde. In Brüssel beschlossen die Staats- und Regierungschefs den Beginn der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei im Oktober 2005.

Hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland und in Italien sowie in der Europäischen Union insgesamt fiel die Beurteilung durch die Teilnehmer des Gesprächsforums unterschiedlich aus. Italienische Teilnehmer neigten in ihren Einschätzungen zu etwas größerem Optimismus, waren sich aber auch mit deutschen Experten einig über die gravierenden Strukturprobleme in beiden Ländern sowie die Probleme des Steuer- und Sozialdumpings in anderen (insbesondere auch neuen) Mitgliedstaaten. Beide Ländern könnten sich in der EU verstärkt bei der Steuerharmonisierung engagieren. Ein gemeinsames Auftreten bei den Verhandlungen um die nächste finanzielle Vorausschau der EU ab 2007 sei erwartbar, da die Positionen Italiens und Deutschlands eng beieinander liegen. Die Experten betonten abschließend die Notwendigkeit einer gemeinsamen Strategie gegenüber den USA, um eine sinnvolle Arbeitsteilung und bessere Zusammenarbeit zwischen der EU und den USA zu ermöglichen.

Über das Deutsch-Italienisches Forum Projekt: Das Forum ermöglicht einen offenen und kontinuierlichen Dialog zwischen Deutschland und Italien auch über kontrovers diskutierte Themen und zwischen Persönlichkeiten unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen sowie des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens.

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