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integration 02/23
17.07.2023

IEP
IEP

Differenzierte Integration als Chance für die Zukunft der EU? Das Themenheft 2/2023 der „integration“ widmet sich dem Konzept aus unterschiedlichen Perspektiven.

Bereits jetzt ist die Europäische Union (EU) ein „System differenzierter Integration“. Die differenzierte Integration erfüllt dabei verschiedene Funktionen: Sie ermöglicht neuen Mitgliedstaaten den Beitritt zur EU, ohne direkt an allen Politiken teilzunehmen, und gibt ihnen so Zeit, sich an die Bedingungen in der EU anzupassen. Vor allem aber ermöglicht sie Konsensbildung. Projekte der EU können auch dann realisiert werden, wenn einige Mitgliedstaaten Vorbehalte haben. Insofern hat die differenzierte Integration Potenziale, die sich für mögliche Erweiterungen und die Entwicklung hin zu einer EU-30+ nutzen lassen können.

Das Themenheft der „integration“ widmet sich in allen Aufsätzen der differenzierten Integration. Diskutiert wird die Entwicklung der differenzierten Integration im europäischen Einigungsprozess, das Potenzial für die Zukunft der EU und die Rolle der differenzierten Integration für die europäischen Öffentlichkeiten, Regierungen und Parlamente. Als Fallbeispiel für externe differenzierte Integration wird die Beziehung zwischen der EU und den Staaten der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) unter die Lupe genommen. Ein weiterer Fall von externer differenzierter Integration ist die Europäische Politische Gemeinschaft (EPG), der sich der Forumsbeitrag widmet.

Um die Auswirkungen des europäischen Rechts geht es auf Grundlage der kürzlich erschienenen Bücher von Christian Joerges und Armin von Bogdandy in der Literaturrezension.

Die Analysen in diesem Heft basieren auf Forschungsergebnissen der drei durch das Horizon-2020-Programm der Europäischen Kommission geförderten Projekte: Integrating Diversity in the European Union (InDivEU), Integration and Differentiation for Effectiveness and Accountability (EUIDEA), EU Differentiation, Dominance and Democracy (EU3D).

Die differenzierte Integration und die Zukunft der Europäischen Union: Konsolidierung, Krisen und Erweiterung

Frank Schimmelfennig und Funda Tekin

Differenzierte Integration ist ein zentrales Merkmal der Europäischen Union (EU). Dieser Beitrag analysiert aktuelle Entwicklungen der differenzierten Integration und ordnet diese ein. Wir konstatieren einen Konsolidierungstrend in den letzten Jahren aufgrund von Brexit, dem Auslaufen von Übergansperioden aus der letzten großen Erweiterungsrunde sowie dem Fehlen von Vertragsänderungen oder weiterer Beitritte zur EU. Wir argumentieren darüber hinaus, dass Differenzierung sich auch nicht als Antwort auf die vielfältigen Krisen der letzten Jahre angeboten hat. Diese Krisen haben bereits vertieft integrierte Politikfelder betroffen und waren von konstitutionellen und redistributiven Konflikten geprägt. Daher diskutieren wir im letzten Teil des Beitrags die Qualitäten der Erweiterung als Motor für differenzierte Integration. Dabei stellen wir heraus, dass bisherige Trends sowie aktuelle Reformvorschläge keine neue Form von differenzierter Mitgliedschaft, sondern eher einen temporären Differenzierungsschub erwarten lassen. Gleichzeitig sind institutionelle Reformen notwendig.

Die differenzierte Integration aus Sicht der Öffentlichkeit: eine umstrittene Handlungsoption

Thomas Winzen

Dieser Beitrag diskutiert, ob und wie sich die Bevölkerungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) zur differenzierten Integration positionieren. Es wird argumentiert, dass die öffentliche Meinung nicht generell positiv, negativ oder gleichgültig ausfällt. Entscheidend für die Muster der Unterstützung und Ablehnung der differenzierten Integration sind vielmehr drei Faktoren: die breiteren Einstellungen der Bevölkerung und der parteipolitischen Eliten, die Vorteilhaftigkeit und Freiwilligkeit konkreter Differenzierungsvorschläge für die betroffenen Mitgliedstaaten sowie die Stärke und Salienz negativer Externalitäten für andere Mitgliedstaaten. In einigen wichtigen Zukunftsprojekten der EU – etwa der fiskalpolitischen Solidarität – legen diese Faktoren nahe, dass Differenzierungsvorschläge zu signifikanten Kontroversen innerhalb und zwischen den Bevölkerungen der Mitgliedstaaten führen würden.

Differenzierte Integration – (k)ein Thema im politischen Diskurs der Mitgliedstaaten?

Stefan Telle

Die politikwissenschaftliche Forschung hat eine zunehmende Differenzierung in der Europäischen Union (EU) zuletzt empirisch im Detail nachgewiesen und die damit verbundenen Chancen und Risiken für effektive und legitime Politik in der EU herausgearbeitet. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Aufmerksamkeit der differenzierten Integration durch Politiker:innen in den Mitgliedstaaten zukommt. Der vorliegende Aufsatz zeigt anhand einer Analyse von offiziellen Regierungsdokumenten und Parlamentsprotokollen aus 25 Mitgliedstaaten, dass diese Integrationsform zwischen 2004 und 2020 kaum politisiert wurde. In nationalen Parlamenten wurde sie vor allem im Kontext von EU-Vertragsänderungen (um 2008), in der Eurokrise (um 2012) und während der Debatte zur Zukunft Europas (um 2017) diskutiert. Für eine geringe Politisierung spricht auch, dass die Positionen von Regierungs- und Oppositionsvertreter:innen oft nah beieinander lagen. Zuletzt zeigt der Beitrag, dass die differenzierte Integration in der französischen Politik häufiger und positiver behandelt wird als in der deutschen Politik.

Nur Symbolpolitik? Differenzierung und Reintegration staatlicher Kerngewalten

Philipp Genschel, Markus Jachtenfuchs und Marta Migliorati

Konstitutionelle Differenzierung wird häufig als Abbild der tatsächlichen Verhältnisse gesehen. Wir argumentieren dagegen, dass dies im Bereich staatlicher Kerngewalten oft nicht zutrifft. Konstitutionelle Differenzierung führt häufig nicht zum Ausschluss der integrationsunwilligen Mitgliedstaaten („Outs“) aus den Politiken der integrationswilligen Mitgliedstaaten („Ins“), sondern zu ihrer Reintegration auf anderen Wegen. Wir stellen ein Kosten-Nutzen-Modell vor, wonach sowohl die „Outs“ als auch die „Ins“ starke funktionale und politische Vorteile von einer Reintegration nach einer früheren Differenzierungsentscheidung haben, weil die Kosten des Ausschlusses aus den Politiken der „Ins“ zu hoch sind. Wir nutzen einen neuen Datensatz über Reintegrationsmöglichkeiten, um die empirische Wirklichkeit der Reintegration nach Politikfeldern, Ländern und Reintegrationsinstrumenten aufzuzeigen. Unsere Schlussfolgerung lautet, dass Reintegration ein häufiges, aber auch fragiles Phänomen ist, mit dem die „Ins“ und die „Outs“ versuchen, nach einer anfänglichen konstitutionellen Differenzierung ihre Kosten in den Griff zu bekommen.

Die EFTA-Staaten und ihre (un-)komplizierten Beziehungen mit der Europäischen Union

Christian Frommelt

Am 1. Januar 1994 – also vor knapp 30 Jahren – trat das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) in Kraft. Es bezweckt die Schaffung eines homogenen und dynamischen Wirtschaftsraums zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) und den Mitgliedern der Europäischen Freihandelszone (EFTA) Island, Liechtenstein und Norwegen. Noch heute ist das EWR-Abkommen das weitreichendste und am stärksten institutionalisierte Abkommen zwischen der EU und Nichtmitgliedstaaten und kann deshalb als ein Benchmark für eine privilegierte Partnerschaft mit der EU angesehen werden. Dieser Beitrag beschreibt, wie sich die institutionellen Regeln des EWR und das Integrationsniveau der EWR/EFTA-Staaten im Zeitverlauf verändert haben. Er zeigt auf, dass sich im EWR sowohl Entwicklungen hin zu mehr Integration als auch zu mehr Differenzierung beobachten lassen. Damit thematisiert er diverse institutionelle Herausforderungen im Verhältnis zwischen der EU und assoziierten Staaten.

Die Europäische Politische Gemeinschaft: multilaterale Koordination und differenzierte Integration in „Wider Europe“

Barbara Lippert

Die Gründung der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) war geopolitisch und integrationspolitisch motiviert. Sie kann unter dem Gesichtspunkt der Gipfeldiplomatie sowie als Unterfall der differenzierten (externen) Integration im „Größeren Europa“ untersucht werden. Das erste Treffen von 44 Staats- und Regierungschefs im Oktober 2022 war eine Demonstration (geo-)politischer Geschlossenheit gegen Russland, das einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt und die europäische Sicherheitsordnung zerstört. Die Teilnehmerstaaten könnten es auch in Zukunft als sinnvoll erachten, sich in diesem hochrangigen politischen Forum über die Neuordnung Europas auszutauschen. Unklar ist hingegen, welchen Mehrwert die EPG im Hinblick auf die Vorbereitung der derzeit zehn (potenziellen) Beitrittskandidaten auf die Mitgliedschaft in der Europäischen Union (EU) entfalten kann. Allerdings hat die EPG die politische Debatte über Teilintegration und Teilmitgliedschaft wiederbelebt. Was aber fehlt, ist eine strategische Positionierung der EU, wie sie mit dem Nexus von Reform, Erweiterung und geopolitischer Rolle umgehen will.

Team & Autor:innen

Über das integration Projekt: Die Vierteljahreszeitschrift "integration" ist ein theoriegeleitetes und politikbezogenes interdisziplinäres Forum zu Grundsatzfragen der europäischen Integration. Aktuelles aus der Europapolitik wird aus politischer und akademischer Perspektive diskutiert.

ISSN/ISBN: 0720-5120
Bild Copyright: IEP