Am 24. Juni 2019 trafen sich mehr als 50 Vertreter:innen regionaler ukrainischer Think Tanks im Rahmen eines Runden Tischs in Kyjiw, wo sie zum Thema „Ukrainische Think Tanks nach den Wahlen: Kann der Einfluss auf die Politikgestaltung im Land aufrechterhalten werden?“ diskutierten.
Zu Beginn der Veranstaltung stellten Ljudmyla Melnyk, Projektmanagerin der „Platform for Analytics and Intercultural Communication“ (PAIC) vom Institut für Europäische Politik (IEP, Berlin), und Serhiy Shapovalov, politischer Analyst bei der PAIC-Partnerorganisation Ilko Kucheriv Democtraic Initiative Foundation (DIF, Kyjiw), die ersten Ergebnisse einer gemeinsam durchgeführten, qualitativen Studie vor, welche zum Ziel hatte, die Arbeit von deutschen und ukrainischen Denkfabriken zu vergleichen und Unterschiede und Gemeinsamkeiten herauszustellen. Hierfür wurden zahlreiche Denkfabriken in der Ukraine und in Deutschland zur ihrer Arbeit befragt.
In den Gesprächen mit Vertreter:innen ukrainischer Think Tanks wurden vor allem die vielen Herausforderungen deutlich, mit denen sie tagtäglich befasst sind. Zum einen herrsche vor allem in den ukrainischen Regionen abseits der Hauptstadt Kyjiw ein Mangel an Expert:innen, die einen Beitrag zur Arbeit der Einrichtungen vor Ort leisten könnten. Auch wurde deutlich, dass es ganz allgemein noch an methodischen Kenntnissen mangele, um eine auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierende Politikberatung anbieten zu können. Die finanzielle Abhängigkeit von ausländischen Geldgeber:innen und die damit zusammenhängenden kurzen Förderzeiträume und Projektlaufzeiten von drei bis sechs Monaten würden eine große finanzielle Unsicherheit und Planungsunsicherheit für die Institutionen bedeuten. Zudem fehle es an einer Förderung von tiefergehenden Forschungsprojekten, die mehr Zeit und Arbeit und damit auch finanziellen Aufwand erfordern. Gerade diese Projekte könnten jedoch die Qualität der auf ihren Erkenntnissen basierenden Politikberatung erhöhen.
Die deutschen Interviewpartner:innen artikulierten vor allem Schwierigkeiten, die Ergebnisse ihrer Forschung an ein breiteres Publikum zu kommunizieren und hierfür die Möglichkeiten von Social Media zielgruppengerecht einzusetzen. Ein ganz grundsätzliches Problem der Arbeit von Denkfabriken liege außerdem darin, einerseits schnell auf neue Ereignisse und Entwicklungen zu reagieren und Beratung anzubieten, dies andererseits aber in einer Art und Weise zu tun, die genug Zeit und Raum für eine vorherige wissenschaftliche Aufarbeitung des Problems oder der Entwicklung lässt. Im Gegensatz zur Ukraine sei hierzulande kein Mangel an Expertise zu spüren, was die Interviewer:innen darauf zurückführten, dass die Qualität der Hochschulausbildung in Deutschland ausgeprägter sei als in der Ukraine.
Im zweiten Teil der Veranstaltung präsentierten Vertreter:innen regionaler ukrainischer Think Tanks ihre Sicht auf die Arbeit von Denkfabriken in der Ukraine und nahmen Stellung zu den Ergebnissen der Studie. Insgesamt zeigte sich, dass die Wahrnehmung der ukrainischen Verteter:innen mit den Ergebnissen der Studien übereinstimmte. Man unterstrich die Punkte der fehlenden finanziellen Planungssicherheit und den Wunsch nach verstärkter Förderung von längerfristig angelegten Forschungsprojekten. Die Zusammenarbeit und der Austausch mit den lokalen Behörden würde hingegen gut funktionieren und der Bedarf an Politikberatung, auch auf lokaler Ebene, sei definitiv vorhanden.
Aus aktuellem Anlass widmete sich der dritte Teil des Runden Tischs dem politischen Machtwechsel in der Ukraine. Mit Blick auf den neu gewählten Präsidenten Wolodymyr Selenskyy und die anstehenden Parlamentswahlen wurde diskutiert, mit welchen Herausforderungen Think Tanks nach den Wahlen konfrontiert sein werden und welche Perspektiven für die Zusammenarbeit mit dem Staat bestehen. Eine zentrale Erkenntnis bestand an dieser Stelle darin, dass ukrainische Denkfabriken stärker auf Inhalte von Wahlkampagnen eingehen und Aufklärungsarbeit leisten sollten, wenn sich die Kampagnen populistischer Elemente bedienen. Aussagen sollten überprüft, eingeordnet und die Analysen einem breiten Publikum vorgestellt werden.
Die Veranstaltung fand im Rahmen des Projekts “Platform for Analytics and Intercultural Communication” (PAIC) statt. Ziel des Projekts PAIC ist es, die Fachkompetenz ukrainischer Think Tanks zu fördern, Synergien zwischen deutschen und ukrainischen Think-Tanks zu schaffen und den Wissenstransfer über Entwicklungen in der Ukraine nach Deutschland zu stärken. PAIC wird vom Institut für Europäische Politik (IEP) in enger Zusammenarbeit mit der Ilko Kucheriv Democratic Initatives Foundation (DIF, Kyjiw) und der Entwicklungs- und Forschungsinitiative für ukrainische Think-Tanks think twice UA (Kyjiw) durchgeführt und vom Auswärtigen Amt unterstützt.