„Als Teilnehmerinnen und Teilnehmer der diesjährigen Jahrestagung des Instituts für Europäische Politik möchte ich Sie in der Landesvertretung Sachsen-Anhalt herzlich willkommen heißen.
Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Jopp für die jahrelange gute Zusammenarbeit bei EU-Veranstaltungen in diesem Haus, die erfreulicherweise mit dem neuen Direktorinnenteam ihre Fortsetzung findet. Uns eint eine gemeinsame Leidenschaft für das Europäische Projekt.
Gerne möchte ich die Gelegenheit nutzen, einige ergänzende Ausführungen im Zusammenhang mit dem Thema „Reform der Europäischen Union“ machen.
Kommissionspräsident Juncker hatte im November 2017 die „Taskforce Subsidiarität, Verhältnismäßigkeit und „Weniger, aber effizienteres Handeln“, eingesetzt, als deren einziges deutsches Mitglied ich vom Ausschuss der Regionen benannt worden war. Diese hat am 10. Juli 2018 ihren Abschlussbericht vorgelegt.
Der Arbeitsauftrag der Taskforce richtete sich auf die Untersuchung folgender Fragen:
1) Wege der besseren Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit in der Arbeit der Organe der Union, insbesondere bei der Ausarbeitung und Umsetzung von Rechtsvorschriften und Politik der Union;
2) Nennung von Bereichen, in denen die Beschlussfassung und/oder Umsetzung längerfristig ganz, teilweise oder endgültig an die Mitgliedstaaten zurückübertragen werden könnten:
3) Entwicklung von Optionen für eine bessere Einbindung der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften in die Vorbereitung und Weiterverfolgung der Politik der Europäischen Union.
Wir haben bei unserer Arbeit einen völlig neuen Ansatz gewählt und damit die Diskussion über Subsidiarität quasi vom Kopf auf die Füße gestellt:
An Stelle von theoretischen juristischen Erörterungen sind wir der folgenden praktischen Frage nachgegangen: Wie können, ganz konkret, die Ideen von Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit in den verschiedenen Phasen der politischen Entscheidungsprozesse besser zur Wirkung kommen?
Dazu haben wir zahlreiche Einzelvorschläge entwickelt, die vier Hauptziele verfolgen:
- Systematische Beteiligung aller Ebenen – national, regional, lokal – in maßgeschneiderter Weise z. B. in Konsultationen; Errichtung eines Netzwerks regionaler Hubs;
- Systematische Folgenabschätzungen und Nachweis des europäischen Mehrwerts in den Rechtsetzungsprozessen der Kommission und in der Verhandlungsphase;
- Nutzung eines einheitlichen Prüfungsrasters bei der Subsidiaritätskontrolle der Institutionen und der politischen Ebenen zur Gewährleistung der Vergleichbarkeit der Ergebnisse;
- Rigide Reduzierung der Regelungsdichte innerhalb einzelner Politikbereiche.
Den letztgenannten Punkt konnten wir aus Zeitgründen nur an einem Beispiel – der Kohäsionspolitik – anschaulich machen. Besonders hier, beim Abbau unverhältnismäßiger Detailregelungen, sind große Fortschritte in Richtung Bürgernähe durch "doing less more efficiently" zu erreichen. Deshalb sollte eine Folgekommission mit zeitlich längerem Ansatz weitere Politikbereiche mit dieser Zielsetzung evaluieren.
Die Taskforce kam zu dem Schluss, dass eine neue Arbeitsweise im Umgang mit Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit erforderlich ist, damit lokale und regionale Behörden sowie nationale Parlamente einen wirksameren Beitrag zur Politikgestaltung der EU und zur Ausarbeitung neuer Rechtsvorschriften leisten können.
Konkret haben wir einen Subsidiaritätsprüfbogen in Form eines „Musterrasters“ entwickelt – vergleichbar mit einer Prüfliste für Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit. Dieser wurde u.a. mit dem Präsidenten des Europäischen Gerichtshofs, Koen Lenaerts, diskutiert, der ihn als wertvollen Beitrag für eine EU-einheitliche Prüfung bezeichnet hat. Im Zuge des vorgeschlagenen neuen Konzepts würden Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit auf allen Regierungsebenen auf einer gemeinsamen Grundlage konsequenter bewertet.
Die Taskforce empfiehlt darüber hinaus, die 8-Wochen-Frist für Subsidiaritätsstellungnahmen der nationalen Parlamente zu den Entwürfen von EU-Rechtsvorschriften flexibel zu handhaben, und stellt eine mögliche künftige Ausdehnung dieser Frist auf 12 Wochen zur Diskussion.
Ich freue mich darüber, dass die Taskforce im Ergebnis sowohl eine breitere und tiefere Konsultation auf der lokalen und regionalen Ebene empfiehlt, die die größte Bürgernähe aufweist, als sie sich auch für mehr Transparenz und eine stärkere Kontrolle einsetzt, um den Mehrwert der EU-Rechtsetzung sicherzustellen.
Ziel muss ein Konzept der „aktiven Subsidiarität“ sein: Akteure solle nicht darauf beschränkt sein, auf Verstöße gegen die Prinzipien Subsidiarität/Verhältnismäßigkeit hinzuweisen, sondern sich aktiv mit Vorschlägen in den Rechtsetzungsprozess einbringen können.
Mit vielen Akteuren aus den parlamentarischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kreisen hatte ich zu den laufenden Arbeiten der Task Force persönlich Kontakt, zahlreiche Positionen und Anregungen sind in den Meinungsbildungsprozess der Taskforce eingeflossen, auf deren Website veröffentlicht worden und haben die Diskussion bereichert.
Diesen gilt mein Dank und meine Anerkennung und ich hoffe, auch mit Ihnen hier im Raum zu diesen Fragen im Gespräch zu bleiben.“