Einleitend betonte Peter Altmaier, Mitglied des Bundestages und Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, dass Bereiche der Innenpolitik „entscheidende Spielfelder“ der Europäischen Union (EU) geworden seien und damit eine größere Dynamik als die klassisch europäischen, bereits vergemeinschafteten Politikfelder entwickelt hätten. Die innenpolitische Kooperation zwischen den EU-Mitgliedstaaten hätte zudem den positiven Nebeneffekt, dass die europäische Integration als solche nicht mehr in Frage gestellt würde. Als ein Beispiel nannte Altmaier in diesem Zusammenhang den Abbau der Grenzkontrollen im Rahmen des Schengenabkommens: Befürchtungen vieler in Grenznähe lebender Deutscher vor einem Anstieg der Kriminalität seien auf Grund der verbesserten Polizeizusammenarbeit nicht eingetreten. Altmaier ergänzte als weitere positive Beispiele die grenzüberschreitende Kooperation der Polizei aus verschiedenen EU-Mitgliedstaaten im Vorfeld und während der Fußball Weltmeisterschaft 2006 sowie die erfolgreiche europäische Zusammenarbeit bei Maßnahmen gegen illegale Einwanderer. Altmaier bekräftigte, dass diese Form der konkreten Kooperation zusätzlich zur Bildung eines gemeinsamen europäischen Bewusstseins führen könne.
Spannungsfeld zwischen Notwendigkeit zur europäischen Kooperation und nationaler Souveränität
Internationale Interdependenzen erforderten auch in Bereichen der Innenpolitik die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene, so Altmaier.
Als hinderlich für eine weitere Vertiefung der Kooperation könne sich jedoch erweisen, dass Innenpolitik in vielen Aspekten – insbesondere im Polizei- und Asylrecht – den Kernbereich nationaler Souveränität tangiere.. Intergouvernementale Zusammenarbeit allein könne den Herausforderungen in diesem Bereich jedoch nicht gerecht werden. Dies belegten beispielsweise GASP/ESVP-MISSION mit enormen Anlaufschwierigkeiten wie die europäische Polizeimission EUPOL in Afghanistan, welche lediglich auf intergouvernementaler Kooperation der einzelnen Mitgliedstaaten beruhe. Zur Auflösung dieses Dilemmas bedürfe es der Entwicklung souveränitätsschonender Methoden, die gleichzeitig das Prinzip der Subsidiarität wahren. Ein Schutz der EU-Außengrenzen könne von den jeweilig betroffenen Mitgliedsstaaten alleine nicht mehr getragen werden, erklärte Altmaier. Demgegenüber sei die Schaffung einer ausschließlich europäischen Grenzpolizei allerdings ein exorbitanter bürokratischer Aufwand. Deshalb könne ein wirksames System gegenseitiger Unterstützung mit gleichzeitiger Wahrung der Souveränität in diesem Bereich ein Mittelweg sein. Unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 wurde dieser Weg mit Schaffung der sogenannten RAPIDS (Rapid Border Intervention Teams)eingeschlagen: Die RAPIDS setzen sich aus nationalen Beamten und nationalen Ausrüstungen zusammen, die bei Bedarf kurzfristig abgerufen werden können. In diesem Rahmen erfolgt auch eine gemeinsame Ausbildung und Kontrolle der Polizei. Diese Beispiele zeigten laut Altmaier, dass sich Schonung nationaler Souveränitätsrechte im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit durchaus mit einer effektiven Steuerung auf europäischer Ebene verbinden lasse. Er plädierte für eine weitere Erprobung des Systems und dessen Beibehaltung, wenn es sich weiterhin als funktionsfähig erweise. Als zweites Feld für diese Methoden zwischenstaatlicher Kooperation nannte Altmaier den Katastrophenschutz, bei dem ähnlich wie bei den RAPIDS Katastrophenschutzeinsatzmodule kurzfristig zusammengestellt werden können.
Das Post-Haager Programm oder die Zukunft der Innenpolitk auf europäischer Ebene
Altmaier betonte abschließend die Errungenschaften des von der Zukunftsgruppe[1] erarbeiteten Berichts für das Post-Haager Programm, welche weit über Tampere und das Haager Programm hinausreichten. Hierbei ginge es unter anderem um die externe Dimension der europäischen Innenpolitik. Die illegale Migration könne nicht allein durch repressive Methoden bekämpft werden, sondern müsse durch eine bessere Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitländern von Grund auf verhindert werden. Konkret gehe es hierbei um vertragliche Regelungen mit den Herkunftsländern, (sogenannte Mobilitätspartnerschaften) Entwicklungshilfe für Drittstaaten sowie deren Ausstattung mit modernen Überwachungsmitteln. Der internationale Terrorismus und die organisierte Kriminalität seien durch eine „Mobilitätsexplosion“ auf realer und virtueller Ebene zur Hauptherausforderung für die europäische Innenpolitik geworden, erklärte Altmaier. Diesen Herausforderungen könne nur durch einen umfassenden Informationsaustausch auf europäischer Ebene begegnet werden. Diese Maßnahme müsse jedoch, wie von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble gefordert, durch zusätzliche Datenschutzvorkehrungen auf europäischer Ebene flankiert werden. Ein Abgleich der nationalen Datenbankbestände sei unausweichlich geworden und brächte einen großen Sicherheitsgewinn.
Weiterhin, so Altmaier, müsse die europäische Innenpolitik insgesamt für die Bürger Europas verständlicher werden. Durch eine elektronische Zusammenfassung des „acquis communautaire“ in einen Polizei- oder einen Grenzkodex könnten die einzelnen Entscheidungsprozesse transparenter, verständlicher und die jeweilige Verantwortung zurechenbarer werden, vermutete Altmaier. In diesem Zusammenhang forderte er zudem statt auf Richtlinien mehr auf europäische Verordnungen als Rechtsinstrumente zu setzen.
[1] Die Zukunftsgruppe ist eine vom deutschen Ratsvorsitz vorgeschlagene hochrangige, beratende Gruppe zur Zukunft der europäischen Innenpolitik. Die Gruppe bestand aus Vizepräsident Franco Frattini, den sechs Innenministern der damaligen und der darauf folgenden Trio-Präsidentschaft (Deutschland, Portugal und Slowenien sowie Frankreich, Tschechische Republik und Schweden), einem Vertreter der nun kommenden Triopräsidentschaft (Spanien, Belgien und Ungarn) sowie anlassbezogen Experten aus einzelnen Mitgliedstaaten.
Quelle: Homepage der deutschen EU-Ratspräsidentschaft: http://www.eu2007.de/de/News/Press_Releases/May/0521BMI.html