Rebecca Harms, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament, referierte am 2. Dezember 2013 im Europäischen Haus in Berlin zum Thema „Europa der Bürger und die Wahlen zum Europäischen Parlament“. Das Mittagsgespräch stellt das erste in einer Reihe von Mittagsgesprächen zur Europawahl 2014 dar. Die Veranstaltung wurde von Prof. Dr. Mathias Jopp, Direktor des Instituts für Europäische Politik (IEP), moderiert.
Frau Harms, die auch Vorsitzende der bilateralen Parlamentariergruppe des EP mit der Ukraine ist, war gerade von einem Aufenthalt in Kiew zurückgekehrt und berichtete zunächst von ihren Eindrücken. Der ukrainische Präsident Janukowitsch hatte ein paar Tage zuvor die Verhandlungen zu einer Unterzeichnung eines Assoziierungsabkommens mit der EU abgebrochen, worauf hin auf den Straßen der Städte und vor allem in Kiew massiver Protest gegen diese Entscheidung deutlich wurde. Für Frau Harms war das Verhalten der Demonstranten ein Beweis dafür, dass es momentan mehr Begeisterung für die EU außerhalb ihrer Mitgliedsstaaten gebe als innerhalb. Damit spielte sie auf die euroskeptischen Tendenzen an, die in vielen Ländern der EU zu Zulauf bei antieuropäischen populistischen Parteien geführt haben. Gegen diese gelte es anzugehen, was eine der größten Herausforderungen für die europäische Politik in den nächsten Jahren darstelle. Um den Euroskeptikern den Nährboden zu entziehen, müsse dafür gesorgt werde, dass eine größere Homogenität und soziale Gerechtigkeit zwischen den EU-Mitgliedstaaten hergestellt werde. Das Versprechen der EU, dass es allen EU-Bürgern gut gehen werde, bleibe uneingelöst, wenn es in Ländern wie Deutschland umfangreiche soziale Sicherungssysteme gebe, während in manchen östlichen Staaten noch nicht einmal das Recht auf Bildung gewährleistet sei.
Als ein weiteres bedeutendes Thema für die grüne Fraktion im EP nannte Frau Harms den Weg aus der Finanzkrise. Diese dauere schon seit fünf Jahren an, weshalb es jetzt darauf ankomme, das Vertrauen der Bürger wieder zu erlangen. Die Antwort der Grünen im EP bestehe im Drängen auf die Regulierung der Finanzmärkte, was weitere Integrationsschritte der EU-Mitgliedsstaaten und im äußersten Falle auch Änderungen des EU-Vertrags erfordere. Mit der geplanten Bankenaufsicht sei schon ein erster Schritt getan worden, jedoch müssten auch die Finanztransaktionssteuer und ein Bankenabwicklungsfonds realisiert werden, wenn man Spekulationen im Finanzsektor eindämmen wolle.
Des Weiteren müsse gegen die wirtschaftliche Rezession in Ländern wie Griechenland gemeinsam angegangen werden. Bei dieser Aufgabe sah Frau Harms auch Deutschland in der Pflicht. Die deutsche Politik müsse sich endlich darüber bewusst werden, dass es in ihrem eigenen Interesse liege, wenn Griechenlands Wirtschaft wieder auf die Beine komme.
Frau Harms beklagte, dass Themen wie Klima- und Energiepolitik derzeit in der europäischen Debatte hinten anstünden, da sie in Zeiten der Krise als für belastend angesehen würden. Dies sei falsch, weil mit Innovationen aus den Bereichen Klimaschutz und erneuerbare Energien gerade in solchen Zeiten dem hohen Investitionsbedarf in der EU entsprochen und der Wirtschaft Auftrieb verliehen werden könne. Aus diesem Grund strebe die grüne Fraktion im EP einen „Pakt für erneuerbare Energien“ an, mit dem alte Energieverträge, die vielerorts noch die Energiegewinnung durch fossile Brennstoffe regeln, abgeschafft werden könnten.
Bedenken äußerte Frau Harms gegenüber dem Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA. Ihrer Meinung nach könne TTIP keineswegs nur positive Konsequenzen für die EU-Bürger nach sich ziehen. Als Beispiel führte sie den Agrarsektor an: Durch das Abkommen wären europäische Bauern dazu gezwungen, auf dem Markt mit den Produkten ihrer US-amerikanischen Kollegen zu konkurrieren, was für viele eine Existenzbedrohung bedeute. Denn im Durchschnitt verfügten US-amerikanische Bauern über weitaus mehr Anbaufläche pro Person als europäische. Davon abgesehen könne das Abkommen dazu führen, dass eine Angleichung zwischen EU- und US-Standards für Arbeitnehmer, Umwelt- und Verbraucherschutz stattfinde, wodurch mühevoll errungene europäische Werte und Standardniveaus verwässert werden könnten. Frau Harms sprach sich dafür aus, über solche Probleme mit den EU-Bürgern zu reden und nicht über ihre Köpfe hinweg zu entscheiden.
Zuletzt unterstrich Frau Harms, dass die EU ein mittlerweile tief verwurzeltes Projekt sei, dessen Träger durch die Fehler der beiden Weltkriege verstanden hätten, dass die Chancen für Europa außerhalb nationaler Denkweisen liegen und Solidarität sowie Integration erforderten. Die durch die EU-Integration gemachten Erfahrungen würden Stärke geben. Dieser Stärke müsse man sich immer bewusst sein und weitere Integrationsschritte entschieden vorantreiben.
Von: Paul Ritze