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IEP-Mittagsgespräch mit Prof. Dr. Klaus Hänsch am 25. April 2005: "Die Ratifizierung der Europäischen Verfassung – aktuelle Trends und Einschätzungen"
25.04.2005

Der Europarlamentarier Klaus Hänsch, MdEP, Präsident des Europäischen Parlaments a. D., ehemaliges Präsidiumsmitglied des EU-Verfassungskonvents sieht alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union derzeit gebannt nach Frankreich blicken, wo am 29. Mai 2005 ein Referendum zum Europäischen Verfassungsvertrag stattfinden wird.

Der Europarlamentarier Klaus Hänsch, MdEP, Präsident des Europäischen Parlaments a. D., ehemaliges Präsidiumsmitglied des EU-Verfassungskonvents sieht alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union derzeit gebannt nach Frankreich blicken, wo am 29. Mai 2005 ein Referendum zum Europäischen Verfassungsvertrag stattfinden wird. Da die Umfragewerte schwanken und viele der französischen Bürger noch unentschlossen sind, ist das Ergebnis der Volksabstimmung völlig ungewiss. Hänsch warnte mit Blick auf Großbritannien und die Niederlande davor, dass ein „Non“ in Frankreich eine negative „Sogwirkung“ entfalten und ein vorzeitiges Ende des Ratifikations- und zumindest dieses Verfassungsprozesses herbeiführen könnte. Neuverhandlungen im Rahmen einer neuen Regierungskonferenz oder die Wiederbelebung des Konvents hält er für unwahrscheinlich.

Wenn die französischen Bürger im Referendum Ende Mai tatsächlich gegen den europäischen Verfassungsvertrag stimmten und der weitere Ratifikationsprozess daraufhin erwartungsgemäß ins Stocken geriete, gäbe es keinen offiziellen „Plan B“. Dennoch müsse man mehrere Szenarien für den weiteren EU-Reformprozess in Betracht ziehen:

1. Eine britische Idee sei die Neuverhandlung strittiger Punkte im Rahmen einer Regierungskonferenz. Diese Version hält Hänsch jedoch für unwahrscheinlich, da von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat andere Punkte als strittig wahrgenommen würden.

2. Ähnliches gelte für die in der Vergangenheit genutzte Notlösung der "Opt-out-Klauseln". Da mit dem Verfassungsvertrag kaum neue Kompetenzen an die EU übertragen würden, biete sich diese Sonderlösung nicht an. Frankreich könne zudem als Gründungsmitglied und zweitgrößter EU-Mitgliedstaat nicht aus europäischen Entscheidungsprozessen und seit Jahrzehnten bestehenden europäischen Institutionen ausgeschlossen werden. Dem Vorwurf der französischen Verfassungsgegner, europäisches Recht werde zu dominant, könne ebenfalls kaum durch Änderungen im Verfassungsvertrag begegnet werden, da der Vorrang des europäischen vor dem nationalen Recht seit nunmehr 40 Jahren praktiziert werde.

3. Die Alternative einer Neugründung der EU, also quasi ein über den bisherigen Verträgen angesiedelter Vertrag, über den in einem neuen Referendum abgestimmt werden könnte, beurteilt Hänsch ebenfalls kritisch.

4. Zwar sei keine der diskutierten Optionen wünschenswert, aber die aus seiner Perspektive wahrscheinliche sei ein sogenanntes „Nizza Plus“: Die EU-Staats- und Regierungschefs könnten in einer weiteren Regierungskonferenz einzelne Elemente des gescheiterten Verfassungsvertrages beschließen. Dazu gehörten die Einrichtung der Funktion EU-Präsident, des Auswärtigen Diplomatischen Dienstes und einer Rüstungsagentur sowie die Stärkung der GASP mittels des Europäischen Außenministers. Eine neue Stimmengewichtung für qualifizierte Mehrheitsentscheidungen im Rat wäre durch Revision der aktuellen Verträge möglich. Die praktische Realisierung würde sich allerdings erneut als äußerst schwierige Verhandlungsmasse erweisen. Grundsätzlich fehle die politische Unterstützung, um die genannten relevanten Bereiche heraus zu lösen und auf einer neuen Regierungskonferenz einvernehmlich zu beschließen.

Alles in allem erachtete Hänsch ein Scheitern des Verfassungsreferendum in Frankreich als „worst case“. Die Ablehnung der Verfassung in einem der wichtigsten EU-Mitgliedstaaten werde eine Neuorientierung zur Folge haben. Als maßgebliche Vorteile des Verfassungsvertrages gegenüber „Nizza“ nannte Hänsch

  • die Demokratisierung der Entscheidungsverfahren
  • die Reform des Mehrheitsprinzips („doppelte Mehrheit“)
  • die Ausweitung des Mitentscheidungsverfahrens (im VVE: „ordentliches Gesetzgebungsverfahren“)
  • eine transparentere Kompetenzverteilung
  • eine Stärkung der nationalen Parlamente auf europäischer Ebene
  • eine sichtbar stärkere Führung der Union durch den Außenminister und den EU-Präsidenten, der intergouvernementale Ansätze besser als bisher bündeln könnte.

Die EU-25 sei auf Dauer nur mit dem Verfassungsvertrag „überlebensfähig“. Mit der Ablehnung der Verfassung, so Hänsch, würde die „Hoffnung auf ein Europa mit der Chance auf eigene Gestaltung und Entwicklung in der Welt sterben“.

[Die Veranstaltung wurde im Rahmen des Projekts „Dialog Europa“ der Otto-Wolff-Stiftung und des von der ASKO-Europa Stiftung geförderten Projekts "Von der geschriebenen zur gelebten Verfassung" durchgeführt.]

Über das Europagespräche Projekt: Die Europagespräche des IEP bringen Bürger:innen, Entscheidungsträger:innen, Wissenschaftler:innen und die Zivilgesellschaft zusammen, um Herausforderungen und Perspektiven der europäischen Integration zu diskutieren. Damit fördern sie die europapolitische Debatte in Deutschland.

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