Ministerialdirektor Michael Clauß, Leiter der Europaabteilung im Auswärtigen Amt, sprach beim IEP-Mittagsgespräch in der Vertretung der Freien und Hansestadt Hamburg in Berlin im September zum Thema „Aktuelle Herausforderungen deutscher Europapolitik“ und setzte dabei Schwerpunkte auf die Staatsschuldenkrise, die Position Deutschlands zum künftigen EU-Budgetrahmen sowie die Lage der EU-Beitrittskandidaten.
Die aktuelle Staatsschuldenkrise sei im Moment erster und wesentlicher Fokus deutscher Europapolitik. Während Portugal und Irland zunehmend einen optimistischeren Ausblick erlaubten, bleibe Griechenland aufgrund des anhaltenden Reformstaus und einer schweren Rezession weiter ein Problemfall. Die Auszahlung der nächsten Tranchen der Griechenland-Hilfe werde sich solange verzögern, bis geforderte Reformen von Athen angegangen werden. Auch Italien und Spanien vermochten bereits den auf ihnen lastenden Druck mit gezielten Reformen zu mildern.
Deutschland strebe derweil eine schnellstmögliche Operationalisierung der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) an, auch wenn es in einzelnen Mitgliedstaaten noch Bedenken in Bezug auf deren Ratifizierung gäbe. Der EFSF und mehr noch sein permanenter Nachfolger, der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM), würden eine wichtige Rolle in der Stabilisierung der Eurozone spielen. Der ESM werde dank seines eigenen Kapitalstocks schnelleres Eingreifen in Krisensituationen ermöglichen.
Bezüglich der Verhandlungen über den EU-Budgetrahmen 2014-2020 trete Deutschland gegen steigende EU-Mittel ein. In vielen Mitgliedsstaaten gäbe es bereits zu hohe Defizite, weshalb das Kommissionsziel bezüglich des mehrjährigen Finanzrahmens als zu ambitioniert angesehen werde. Die Maxime laute daher, das vorhandene Geld gezielter auszugeben, anstatt das Budget zu erhöhen. Wichtig in diesem Zusammenhang sei die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Die tatsächlichen Verhandlungen sollen Mitte nächsten Jahres aufgenommen werden, mit einem Ergebnis rechne man jedoch nicht vor Ende 2012. Dem Vorschlag, eine angedachte Finanztransaktionssteuer als EU-Steuer nach Brüssel abzuführen, stehe die Bundesregierung ablehnend gegenüber. Neben einem großen bürokratischen Aufwand würde dies auch Ausgleichsforderungen besonders betroffener Mitgliedstaaten mit sich bringen.
Als weitere wichtige Bereiche neben Finanzfragen, thematisierte Clauß die Erweiterung der EU und des Schengen-Raums. Serbien habe über die letzten Jahre maßgebliche Fortschritte bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität gemacht. Auch die Überstellung von Kriegsverbrechern wirke sich positiv auf die Beziehungen zur EU aus. Das Verhältnis zum Kosovo und dessen ausbleibende Anerkennung seien aber weiterhin ein Problem. Grundsätzlich gilt: je mehr sich das Land auf Kosovo zubewege, desto besser stehe es um seine Aufnahmechancen. Montenegro, das bereits den Kandidatenstatus besitzt, habe die von Kommission und Rat gesetzten Benchmarks erfüllt, wofür es schon bald mit einer positiven Empfehlung für Beitrittsverhandlungen belohnt werden könnte. Bei der Türkei hingegen sei derzeit nicht erkennbar, dass ein neues Beitrittskapitel aufgeschlagen werde. Ferner gebe es beispielsweise nach wie vor keine Verständigungsbereitschaft über die Zypern-Frage, weder auf TUR- noch auf CYP-Seite.
In Bezug auf die Zukunft des Schengen-Raums sei anzumerken, dass der Regierungswechsel in Dänemark die Sorgen um den vollen Erhalt des Schengen-Besitzstandes fürs Erste entschärfe. Verhandlungen über einen gesetzlichen Rahmen für künftige Grenzkontrollen liefen aber noch.
Frankreich, Deutschland, Finnland und die Niederlande hegten weiterhin Bedenken gegen den vollen Beitritt Bulgariens und Rumäniens zum Schengen-Raum. Deutschland und Frankreich legten dazu einen Kompromissvorschlag vor, zuerst den Luft- und Seeweg zu öffnen und unter bestimmten Voraussetzungen später auch den Landweg folgen zu lassen.
Nach dem Vortrag entwickelte sich eine rege Diskussion über die aktuelle Staatsschuldenkrise, in der Clauß unter anderem Fragen zur Haftung Deutschlands und zum Euroskeptizismus beantwortete.
Darüber hinaus ging Clauß auch auf Nachfragen zur Unterrepräsentation Deutschlands im Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) ein, indem er erklärte, dass die Bundesrepublik im EAD und den EU-Institutionen insgesamt einige sehr wichtige Posten halte.