Das IEP-Mittagsgespräch zum Thema „Deutsche und europäische Außenpolitik in Zeiten der Krise“ mit Dr. Hans-Dieter Lucas, Politischer Direktor im Auswärtigen Amt, fand am 27. Mai 2014 in der Vertretung der Europäischen Kommission in Berlin statt. Moderiert wurde die Veranstaltung von Prof. Dr. Mathias Jopp, Direktor des Instituts für Europäische Politik (IEP).
Hans-Dieter Lucas wies zunächst darauf hin, dass die dramatische Lage in der derzeitigen Ukraine -Krise eine neuartige Herausforderung für die EU darstelle. Die Krise sei, ebenso wie die dramatische Verschärfung der Lage in Ländern wie Libyen und Syrien, überraschend gekommen. Es zeige sich mittlerweile, dass solche Krisenherde näher an Europa heranrückten als zuvor, woraus sich zwei konkrete Fragen ergäben: Zum Ersten, was bedeuten diese Entwicklungen für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der Europäischen Union? Und zum Zweiten, welche Herausforderungen stellen sich in der Nachbarschaft und wie kann die EU mit ihnen umgehen?
Lucas merkte zur ersten Frage an, dass angesichts der steigenden Zahl der Krisenherde in und um Europa die Notwendigkeit bestehe, eine aktive und effiziente Außen- und Sicherheitspolitik zu betreiben. In diesem Zusammenhang verwies er auf die Tagung des Europäischen Rats im Dezember 2013 und die deutsch-französische Zusammenarbeit im Vorfeld. Neue Ansätze, die in diesem Umfeld entwickelt würden, seien beispielsweise die deutsche Initiative „enable and enhance“, die zum Ziel habe, außenpolitische Partner darin zu unterstützen, eigene Ressourcen besser zu nutzen. Als Beispiele nannte Lucas das Engagement in der Krise in Mali, wo Sicherheitskräfte ausgebildet und die Rolle der Afrikanischen Union in der Beilegung des Krieges analysiert wurden. Darüber hinaus sei eine maritime Sicherheitsstrategie von enormer Bedeutung für die EU als Wirtschafts- und Handelsmacht.
Lucas ging weiter auf die militärischen Fähigkeiten der EU ein: bei schrumpfenden Verteidigungshaushalten und mehr Krisen, sei ein „pooling“ von Ressourcen unumgänglich, um ineffizienter Allokation bei knappen Mitteln entgegenzuwirken. Dies sei jedoch vor dem Hintergrund eines damit einhergehenden Souveränitätsverlustes für die Nationalstaaten ein komplexes Unterfangen. Das „pooling & sharing“ müsse durch top-down Impulse initiiert und von der Europäischen Verteidigungsagentur koordiniert werden. Bezüglich möglicher Bedenken von deutscher Seite, militärische Ressourcen in diesem Rahmen zur Verfügung stellen zu können, betonte Lucas, der Parlamentsvorbehalt beträfe bestimmte Bereiche wie Transport und Logistik nicht und der Bundestag habe zudem in der Vergangenheit die Position der Bundesregierung immer mitgetragen.
Lucas erläuterte, dass der „comprehensive approach“ der EU sinnvoll sei, um Krisen und außenpolitische Herausforderungen umfassend zu bewältigen. Am Beispiel Mali erklärte er, dass dieser sowohl zivile als auch – im Notfall – militärische Unterstützung und Entwicklungshilfe einschließe. Die EU könne dabei auf ein „breites Spektrum von Instrumenten und Maßnahmen“ zurückgreifen. In den kommenden Jahren werde laut Lucas die Stärkung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik vorangetrieben, dennoch seien qualitative Sprünge nicht zu erwarten.
Zur Zweiten Frage bezüglich der Herausforderungen in der Nachbarschaft sei die Ukraine-Krise, so Lucas, ein tiefer Einschnitt in der europäischen Nachkriegsgeschichte. Er betonte, dass durch die Annexion der Krim erstmals seit Ende des Kalten Krieges wieder Grenzen infrage gestellt wurden. Lucas lobte die schnelle und geschlossene Reaktion der EU und deren 3-Stufen-Plan bezüglich Sanktionen sowie die enge Koordinierung mit den USA trotz des angespannten transatlantischen Verhältnisses. Der deutsche Einsatz für eine OSZE-Mission habe ebenfalls entscheidend zu einer Deeskalation beigetragen. In nächster Zukunft gehe es besonders darum, die Ukraine zu stabilisieren, auch durch (finanzielle) Hilfspakete. Jetzt nach der Wahl sei das Schaffen von Sicherheit oberste Priorität, dazu gehöre auch der Einsatz gegen „irreguläre bewaffnete Kräfte“. Ein sehr wichtiges Ziel für die Politik der EU bleibe auch weiterhin ein partnerschaftliches Verhältnis zu Russland. Lucas räumte ein, dass man erheblich an den Prognosefähigkeiten zu außenpolitischen Entwicklungen arbeiten müsse, angesichts des „volatilen Zeitalters“ aber einige Krisen wohl auch nicht vorhersehbar bleiben würden.
Als weitere Herausforderung in der Nachbarschaftspolitik der EU nannte Lucas Regionen im Süden, in denen die EU massiv gefordert bleibe. Insbesondere die Folgen des Bürgerkriegs in Syrien, der auch Auswirkungen auf die Nachbarstaaten zeigt, müssten abgemildert werden. Zudem sei die EU gefordert, gemeinsam mit den USA weitere Lösungsvorschläge im Nahostkonflikt zu erarbeiten, nachdem US-Außenminister Kerrys Versuche vor kurzem gescheitert seien. Die krisenhafte Entwicklung habe gezeigt, dass die EU in der Außen- und Sicherheitspolitik eine noch größere Priorität setzen muss. Das Instrument der Europäischen Nachbarschaftspolitik sei dabei sehr wichtig. Es bestünde jedoch auch ein Modernisierungsbedarf in diesem Bereich. Deutschland müsse sich mehr einsetzen und stärkere Impulse für die GASP setzen. Die Unterstützung der Bevölkerung für außenpolitisches Engagement sei dabei von Bedeutung und könne auch dadurch erhöht werden, dass die Interessen, inklusive wirtschaftlichen, weniger abstrakt vermittelt würden. Dafür habe das Auswärtige Amt „Review 2014 – Außenpolitik Weiter Denken“ initiiert, das im gesamten Bundesgebiet außenpolitische Themen öffentlich zur Diskussion stellen wird.
Von: Inga Wölfinger