Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts Dr. Klaus Scharioth, Staatssekretär des Auswärtigen Amts, betonte, dass die negativen Ergebnisse der Referenden in Frankreich und den Niederlanden zwar einen Rückschlag für die Ratifizierung der Europäischen Verfassung, nicht aber das Ende des Europäischen Integrationsprozesses bedeuteten. Vordringlichste Aufgabe sei es nun, die vielschichtigen Gründe für die Ablehnung der Verfassung zu analysieren und jegliche „Kakophonie“ zwischen den nationalen Regierungen zu vermeiden. Die deutsche Bundesregierung ist ebenso wie die Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten entschlossen, den Ratifizierungsprozess zum Europäischen Verfassungsvertrag fortzuführen, da die Argumente der „Nein“-Wähler sich weniger gegen den Verfassungstext als gegen innenpolitsche und allgemein europapolitische Probleme richteten. Scharioth hält daher auch eine stärkere Vermittlung der „großen Themen“ der Europäischen Integration in der Öffentlichkeit für notwendig. Die Bedeutung der EU bei der Überwindung der europäischen Teilung und der Sicherung des kontinentalen Friedens würden noch immer zu wenig geschätzt.
Jeder EU-Mitgliedstaat müsse nun die Gelegenheit haben, den Vertrag zu ratifizieren, erläuterte Staatssekretär Scharioth. Auch könnten nicht jene Staaten übergangen werden, die den Vertrag bereits mit zum Teil überragenden Mehrheiten ratifiziert haben. Er fordert die Bewahrung des Verfassungstextes (VVE), da Neuverhandlungen kaum zu besseren Ergebnissen führten und eine vorschnelle Zerstückelung des Vertragstextes nur Minimalergebnisse produziere, die die grundlegenden Fortschritte des VVE (z.B. stärkere Demokratisierung, Transparenz, Grundrechte-Charta, Europäischer Außenminister) gefährdeten. Das Erreichen einer einheitlichen Position der EU-Mitgliedstaaten zum weiteren gemeinsamen Umgang mit dem Verfassungsvertrag sei nun entscheidend.
Wünschenswert sei auch eine Einigung des Europäischen Rates in der nächsten Woche auf eine finanzielle Vorausschau ab 2007. Die Bundesregierung sei bereit, sich in der Frage der 1-prozentigen Begrenzung der BSP-Eigenmittel auf andere Mitgliedstaaten zu zubewegen, aber es müsse auch auf deren Seite Kompromissbereitschaft vorhanden sein. Zudem sei der britische Sonderrabatt im Blick auf die „dramatisch“ veränderte relative Wohlstandssituation mancher Mitgliedstaaten nicht mehr gerechtfertigt. Nicht nur das in der Wohlstandsstatistik aufgestiegene Großbritannien, sondern auch Nettoempfänger-Länder mit erheblichem Wirtschaftswachstum im letzten Jahrzehnt wie beispielsweise Spanien müssten nun bereit sein, eine Neubewertung der Umverteilungskriterien zu ermöglichen.
Im Hinblick auf die Erweiterungspolitik der EU bedauert Staatssekretär Scharioth, dass die enormen politischen Stabilitätsgewinne der letzten Erweiterungsrunde von Ängsten und Sorgen in der Bevölkerung überlagert würden, obwohl die Mitgliedschaft der neuen EU-Staaten zu einer Dynamisierung der deutschen Exporte geführt habe. Allein im vergangenen Jahr ist der deutsche Waren-Export in die neuen Mitgliedstaaten um 8,5 Prozent gestiegen. Die Bundesregierung lehne die zeitliche Verzögerung der Beitritte Bulgariens und Rumäniens ab und befürworte auch eine kroatische EU-Mitgliedschaft bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen. Eine Beitrittsperspektive sei zudem zur Unterstützung der Reformprozesse in der Türkei unerlässlich, wobei Verhandlungen keinen Beitrittsautomatismus bedeuteten. Auch eine Stabilisierung des Balkans sei ohne Beitrittsperspektive undenkbar.
Abschließend betonte der Staatssekretär, dass mit gängigen Vorurteilen über die deutsche Europapolitik aufgeräumt werden müsse. Heute gelinge es unter Federführung des Auswärtigen Amts und des BMF in enger Abstimmung mit dem Bundeskanzleramt europapolitische Koordinierung immer effizienter zu betreiben. Dies habe über die Absprachen im Staatssekretärsausschuß auch zu einer Überwindung der früheren Schwäche Deutschlands bei der Implementierung von EU-Richtlinien geführt, so dass Deutschland heute in der Implementierungsskala relativ weit vorne liege.