Dr. Hans Winkler, Staatssekretär im österreichischen Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten, Wien, eröffnete seinen Vortrag damit, dass Österreich die Präsidentschaft eher in einer vermittelnden und koordinierenden Weise ausführen wolle. Deshalb bevorzuge Wien auch den Terminus „Vorsitz“ und suche den engen Kontakt zu den anderen Mitgliedstaaten und den europäischen Institutionen. Insbesondere das Europäische Parlament (EP) genießt hierbei in den Planungen einen hohen Stellenwert, weswegen eine enge Abstimmung mit dem EP angestrebt wird. In diesem Sinne ist auch die Erklärung von Bundeskanzler Schüssel vor dem Europäischen Parlament sowie die anschließende Aussprache hierzu zu sehen. Inhaltlich will die österreichische Ratspräsidentschaft fünf Schwerpunkte setzen:
Zum Ersten den Bereich der finanziellen Vorausschau. Zwar haben die Staats- und Regierungschefs im vergangenen Dezember hierzu eine Grundsatzeinigung erzielt. Diese muss jetzt aber noch konkret umgesetzt werden. Insbesondere steht die schwierige Arbeit an, die globalen Zahlen in die konkreten Einzelposten zu übertragen. Auch sollte die Abstimmung mit dem Europäischen Parlament nicht unterschätzt werden. Die Ablehnung des Haushaltskompromisses in der letzten Plenarsitzung hat deutlich gezeigt, dass hier noch viel Arbeit zu erledigen und das Europäische Parlament intensiv in die Verhandlungen einzubeziehen ist.
Zum Zweiten gilt es, die Frage des Verfassungsvertrages anzugehen. Auch wenn dieser von vielen immer wieder totgesagt wird, existiert er solange, bis er formal aufgehoben wird. Auf der anderen Seite kann er aber erst in Kraft treten, wenn alle Mitgliedstaaten ihn ratifiziert haben. Aus diesem Dilemma gilt es nun einen Ausweg zu finden. Hierzu muss der Prozess der nationalen Debatten – vor allem dort, wo die Ratifizierung gescheitert oder ausgesetzt ist – fortgeführt werden. Die Aufgabe der österreichischen Ratspräsidentschaft besteht nun darin, diese Diskussionen zusammenzuführen und bis Ende Juni Vorschläge für ein weiteres Vorgehen zu erarbeiten. Das bedeutet jedoch nicht, dass die österreichische Präsidentschaft die Verfassungskrise lösen wird. Denn insbesondere in Frankreich und den Niederlanden sind keine grundsätzlichen Veränderungen vor den Wahlen im nächsten Jahr zu erwarten. Vielmehr wird es darum gehen einen Zeitplan für das weitere Vorgehen zu erarbeiten und in der Zwischenzeit das Vertrauen bei der Bevölkerung für das europäische Integrationsprojekt zurückzugewinnen.
In diesem Zusammenhang liegt der dritte Schwerpunkt des österreichischen Vorsitzes darin, deutlich zu machen, dass Europa im Bereich Wirtschaft, Arbeit und Beschäftigung einen Mehrwert hat, aber auch in der Lage ist, das europäische Sozialmodell zu bewahren. Dieses Modell, das Winkler als „European Way of Life“ bezeichnete, besteht vor allem in der Sicherstellung von wirtschaftlichem Wohlstand bei gleichzeitiger sozialer Absicherung des Einzelnen; auch hat der Staat in diesem Modell eine starke Rolle bei der Gewährleistung öffentlicher Dienste.
Den vierten Schwerpunkt bezeichnete Winkler als „Zukunft Europas in einem weiteren Sinne“. So ist die Dienstleistungsrichtlinie mittlerweile zum Symbol für einen ideologischen Konflikt zwischen unbegrenztem Freihandel und Sozialprotektionismus geworden. Hier muss ein Kompromiss zwischen sozialen- und marktwirtschaftlichen Elementen gefunden werden. EU-Kommissar Verheugen hat hierbei mit seinem Konzept der „better regulation“ den Nerv der Zeit getroffen. Wir müssen, so Winkler, uns in Zukunft stärker fragen, wo Europas Zuständigkeiten und Kompentenzen liegen, um ähnliche Auseinandersetzungen zu vermeiden.
Der fünfte Schwerpunkt der österreichischen Ratspräsidentschaft ist schließlich im Bereich der Außenpolitik angesiedelt. Hier wird vor allem zu klären sein, welche Rolle Europa in der Welt spielen wird. Österreich wird auch – aus traditionellen Gründen – einen Schwerpunkt in der Balkanpolitik setzen. Die Länder des westlichen Balkans brauchen eine europäische Perspektive um Frieden und Stabilität langfristig zu sichern, was jedoch nicht bedeutet, dass ein Beitritt dieser Staaten unmittelbar bevorsteht. Die Angst der europäischen Bevölkerung vor unbegrenzter Erweiterung der EU muss hierbei genauso ernst genommen werden wie die Glaubwürdigkeit in den Verhandlungen mit den jeweiligen Ländern.
Wenn es gelingt, in diesen fünf Bereichen substantielle Erfolge zu erzielen – so Winkler –, wird die österreichische Ratspräsidentschaft einen wertvollen Beitrag leisten können, Europa aus der derzeitigen Krise zu führen.
Dr. Daniel Göler, Mitarbeiter in dem von der ASKO EUROPA-STIFTUNG und dem IEP durchgeführten Projekt: Ein Europa der Bürger – Verfassung und effiziente Politik
[Die Veranstaltung wurde im Rahmen des „Dialog Europa“ der Otto Wolff-Stiftung durchgeführt und von ihr sowie dem Centre international de Formation européenne unterstützt.]