Am 21. März 2005 fand das IEP-Mittagsgespräch in Zusammenarbeit mit der IEP-Studiengruppe "Erweiterung und Konsolidierung der EU" mit Elmar BROK MdEP, Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments/Vorsitzender der IEP-Studiengruppe "Erweiterung und Konsolidierung der EU", I.E. Dr. Meglena PLUGTSCHIEVA, Botschafterin der Republik Bulgarien, Berlin, Leonard ORBAN, Chef-Unterhändler Rumäniens für die Europäische Union, Ministerium für Europäische Integration, Bukarest und Dražen KARAMAN, Botschaftsrat, Botschaft der Republik Kroatien, im Jean-Monnet-Haus in Berlin statt.
Die Erweiterung der EU ist nach der Großerweiterung 2004 in schwieriges Fahrwasser geraten. Nach dem Beschluss des EU-Ministerrats am 17.3.2005, die Eröffnung der Beitrittsverhandlungen mit Kroatien auf unbestimmte Zeit zu vertagen, hat das Thema „Die nächsten Runden der EU-Erweiterung“ besondere Aktualität und Brisanz entwickelt.
Gut 150 Teilnehmer des IEP-Mittagsgesprächs diskutierten mit Repräsentanten der Nachzügler der fünften Erweiterungsrunde, nämlich Bulgarien und Rumänien, einem Vertreter des Vorreiterlandes der sechsten Erweiterungsrunde, Kroatien, sowie mit dem Europaabgeordneten Elmar Brok darüber, wie die jeweiligen aktuellen Beitrittshindernisse aus dem Weg zu räumen und welche Schlussfolgerungen für die Fortsetzung der Erweiterungspolitik zu ziehen sind.
Botschafterin Plugtschieva, die für ihr Land auch den „schweren Brocken“ des Landwirtschafts-Beitrittskapitels verhandelt hat, zeichnete ein positives Bild der makroökonomischen Entwicklung Bulgariens über die letzten Jahre. Die bulgarische Wirtschaft ist 2004 um 5 % gewachsen, die Inflation konnte auf 2,3 % gedrückt werden, auch die Arbeitslosenrate wurde nahezu halbiert und liegt bei knapp 12 %. Getragen wurden und werden die enormen Anstrengungen bei der Übernahme des Gemeinschaftsacquis von einem parteiübergreifenden Konsens und einer außerordentlich hohen Zustimmung der bulgarischen Bevölkerung (rund 78 %) zum EU-Beitritt ihres Landes. Die nachhaltige Implementierung der EU-Bestimmungen in den Bereichen Landwirtschaft, Verkehrsinfrastruktur, Umwelt, Regionalentwicklung sowie Rechtsfragen und Innenpolitik stellen auf absehbare Zeit die größte Herausforderung der EU-Mitgliedschaft dar. Die Bekämpfung der organisierten Kriminalität und der weitverbreiteten Korruption bildet schon seit einiger Zeit einen Schwerpunkt der Arbeit von Regierung und Parlament. In allen genannten Bereichen sei Bulgarien entschlossen, die Reformen konsequent fortzuführen und so den effektiven Beitritt zum 1. Januar 2007 zu bewerkstelligen. Die Botschafterin betonte, dass die vollständige und effektive Implementierung des EU-Besitzstandes sowohl im eigenen Interesse Bulgariens als auch in dem der EU liege.
Der rumänische Chefunterhändler Orban akzentuierte die Besonderheiten, die den äußerst schwierigen Beitritts- und Verhandlungsprozess Rumäniens kennzeichneten. Er verwies auf die Nachteile eines langsamen und schlecht vorbereiteten Starts der Verhandlungen in den Jahren 2000 und 2001, die noch lange nachwirkten. Rumänien muss im Beitrittsvertrag mehrere spezielle Schutzklauseln akzeptieren, die es der EU ermöglichen werden, das Inkrafttreten des Beitritts um ein Jahr auf 2008 zu verschieben und bis zu drei Jahre nach Beginn der Mitgliedschaft Bestimmungen, etwa zur Anwendung des Schengen-Acquis, außer Kraft zu setzen. Diese Vorbehalte beziehen sich vor allem auf die Kapitel „Staatliche Beihilfen/Wettbewerbspolitik“ und „Justiz und Inneres“. Auch Bulgarien hat eine Schutzklausel, die sich auf eine Verschiebung des Inkrafttretens des Beitrittsvertrags um ein Jahr bezieht. Die Anwendung dieser Schutzklausel können die Mitgliedstaaten gegenüber Bulgarien nur einstimmig beschließen, während im Falle Rumäniens eine Zweidrittelmehrheit ausreichend ist. Orban unterstrich, dass diese Regelung für Rumänien akzeptabel sei, weil sein Land demonstrieren wolle, wie ernsthaft es bemüht sei, alle Verpflichtungen zu erfüllen, die aus der Mitgliedschaft erwachsen. Die rumänische Regierung habe das klare Ziel, im Januar 2007 effektiv Mitglied der EU zu werden und habe dafür praktisch das ganze Land verändert. Orban vertrat die Auffassung, dass die Kommission den Fokus bei Rumänien und Bulgarien viel stärker als bei den zehn neuen Mitgliedern von 2004 auf die Implementierungsfähigkeiten und nicht zuletzt auch auf die Verwaltungskapazitäten gerichtet habe. Wie im Falle Bulgariens gehörten die Reform des Justizwesens und die Bekämpfung der Korruption sowie der Aufbau von Institutionen, die die Transfers aus dem EU-Haushalt insbesondere im Bereich Landwirtschaft und Regionalpolitik verwalten und in Projekte umsetzen können, zu den „leftovers“ der Verhandlungen und zu den aktuellen Hausaufgaben der rumänischen Regierung. Rumänien erhält in den ersten drei Jahren seiner EU-Mitgliedschaft elf Milliarden Euro, auch Bulgarien erhält dreimal so viel Gelder wie es zuvor aus SAPARD-, ISPA- und PHARE-Mitteln zusammen erhalten hat. Auch dies ist für beide Länder ein wichtiger Anreiz, die defizitären Verwaltungskapazitäten zügig zu verbessern.
Botschaftsrat Karaman zeichnete den rund sechsjährigen Annäherungsprozess Kroatiens an die EU nach, der mit der Entscheidung der Außenminister vom März, die Verhandlungen zu verschieben, zwar abgebremst worden sei. Jedoch werde dies von kroatischer Seite nicht als eine endgültige Absage gewertet. Kroatien setze seine Integrationspolitik unverändert fort. Dabei baue Zagreb, so Karaman, auf die weitere Unterstützung der EU und insbesondere der Kommission. Dieser selbstauferlegte äußere Zwang („Brüssel“) sei nach wie vor dringend erforderlich zur Bündelung der Reformkräfte in Kroatien. Karaman wies darauf hin, dass Kroatien das Land sei, das bislang am umfassendsten mit dem Haager Kriegsverbrechertribunal zusammengearbeitet habe und dass die Auslieferung des mutmaßlichen Kriegsverbrechers Gotovina nicht in der Macht der kroatischen Regierung läge. Die EU habe keinerlei nachvollziehbare Beweise auf den Tisch gelegt, dass Kroatien die Auslieferung hintertreibe. Abgesehen von diesem aktuellen Streitpunkt sieht Kroatien den eigenen Weg nach Brüssel aber als Beleg dafür, dass der von der EU Ende der neunziger Jahre für die Länder des westlichen Balkans lancierte Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess eine angemessene Vorbeitrittsstrategie darstelle. Die Eröffnung von Verhandlungen mit Kroatien werde als positives Signal auf die Nachbarn Bosnien-Herzegowina, Serbien-Montenegro, Mazedonien und Albanien wirken. Dass der Rahmen für die Verhandlungen mit Kroatien strenger als für die Länder der fünften Erweiterungsrunde gefasst worden sei, sah Karaman nicht als Nachteil.
Aus Sicht des Europaabgeordneten Brok befindet sich die Erweiterung in einer schwierigen Phase. Am 13. April soll das Europäische Parlament seine Zustimmung zum Beitritt von Rumänien und Bulgarien geben, so dass der Beitrittsvertrag am 25. April 2005 unterzeichnet werden kann. Jedoch sei eine nennenswerte Zahl von Abgeordneten zu der Einschätzung gelangt, dass der Implementierungsprozess in Rumänien noch nicht weit genug voran geschritten sei. Es spräche einiges dafür, den Monitoring-Bericht abzuwarten, den die Kommission im Herbst 2005 vorlegen wird, und erst dann zu einem abschließenden Ergebnis zu kommen. Das Umfeld, in dem die Entscheidung des Europäischen Parlaments für den Beitritt von Rumänien und Bulgarien zu treffen sei, sei von weiteren Problemen gekennzeichnet: So existierten Unklarheiten über die finanzielle Vorausschau 2007/2013 sowie Zweifel an der Tragfähigkeit der Entscheidung, mit der Türkei am 3.10. Verhandlungen zu eröffnen, gerade angesichts der Diskussion über die Vertagung der Eröffnung von Beitrittsverhandlungen mit Kroatien. Vor allem aber belastet die große Ungewissheit über die Ratifizierung der Verfassung die politische Szene. Daraus ergebe sich eine ganz andere Konstellationen als 1997 in Luxemburg bzw. 1999 in Helsinki, als die jeweils nächsten Runden der Erweiterung beschlossen worden sind. Denn heute befinde sich die Europäische Union in einem kritischen Augenblick der Selbstfindung.
Brok betonte jedoch, dass Rumänien und Bulgarien den Abschluss der Zwölfer-Erweiterungsrunde bilden würden und das Europäische Parlament in diesen Tagen bestrebt sei, in Gesprächen mit Rat und Kommission einen Weg zu finden, um die vorhandenen Bedenken zu reduzieren. Das könne dadurch geschehen, dass die Option, die Sicherheitsklauseln im Bedarfsfall tatsächlich in Anspruch zu nehmen, als Bedingung bekräftigt wird. Dann sei der 25. April als Termin der Unterzeichnung doch noch möglich.
Im Falle Kroatiens plädierte Brok dafür, eine Monitoring-Gruppe bzw. Task-Force für die Überprüfung des Kooperationsverhaltens der kroatischen Regierung im Fall des flüchtigen Gotovina einzusetzen. Angesichts des bereits beschlossenen Mandats für die Verhandlungen mit Kroatien sollten diese so schnell wie möglich, gegebenenfalls schon im April oder Mai, eröffnet werden. Denn es sei kaum zu vermitteln, Kroatien den Verhandlungsbeginn zu verweigern, weil ihm mangelhafte Kooperation in einem einzigen Fall vorgeworfen würde, während man an der Eröffnung von Verhandlungen mit der Türkei im Oktober noch festhalte, obwohl dort gegenwärtig noch ungezählte Fälle von Folter zu beanstanden seien. Brok zeigte sich besorgt über das gegenwärtige negative Bild der EU in der Öffentlichkeit. Die Befürchtungen, die Dienstleistungsrichtlinie öffne Sozialdumping Tür und Tor und der Eindruck, die EU betriebe eine Erweiterung ohne Grenzen seien eine gefährliche Mischung, die zum Ende der Akzeptanz der europäischen Integration führen könnten. Die Kommission Barroso solle die Dienstleistungsrichtlinie in ihrer jetzigen Form zurückziehen und überarbeiten und so einen Angriffspunkt für Verfassungsgegner bei den anstehenden Volksabstimmungen, nicht zuletzt in Frankreich, ausräumen.
Die EU, so machten die Diskussionsbeiträge auch aus dem Publikum deutlich, durchläuft eine Phase großer Unsicherheit in Bezug auf das Gelingen der weiteren Vertiefung (Verfassung) und der Erweiterung. Zu erkennen war aber die Ernsthaftigkeit, mit der zumindest der erfolgreiche und tragfähige Abschluss der fünften und das Anlaufen der sechsten Erweiterungsrunde von den Akteuren verfolgt wird.