Vor dem Hintergrund des nahenden informellen Gipfeltreffens und der Verhandlungen über den endgültigen Text des Reformvertrages berichtete Maria João Rodrigues, Special Advisor to the Prime Minister for the European Union Presidency, von den Schwerpunkten der portugiesischen EU-Ratspräsidentschaft.
Die erste Priorität, auf die Frau Rodrigues hingewiesen hat, war der erfolgreiche Abschluss von Verhandlungen über den Reformvertrag. Man verspüre in Europa eine neue Stimmung gegenüber dem Vertrag, eine diffuse Unterstützung, die auf einen konstruktiven Verlauf des informellen Gipfels in Lissabon hoffen lasse. Alle wollten dieses Blatt des europäischen Geschichtsbuches umblättern, so Rodrigues wörtlich. Die zentrale Aufgabe bei der Reform der europäischen Institutionen bestehe darin, die Union für die globalen Herausforderungen fit zu machen, und alle großen internationalen Partner der EU erwarteten den neuen Vertrag. Während man sich mit Großbritannien bereits auf dem Juni-Gipfel geeinigt habe, bestünden weiterhin strittige Punkte mit Polen. Die polnische Regierung habe aber verstanden, dass sie die einzige in Europa sei, die blockiere. Mittlerweile seien erhebliche Zugeständnisse im Zusammenhang mit den Abstimmungsmodi im Rat gemacht worden. Die Forderung der Kaczynski-Regierung, einen extensiven Ioannina-Mechanismus in den Reformvertrag aufzunehmen, lehnen die Portugiesen jedoch kategorisch ab. Die portugiesische Präsidentschaft erwägt nicht die Option, dass Polen nein sagen könnte. Man könne nicht noch länger warten und müsse langfristig die Entscheidungsprozesse auf europäischer Ebene unabhängiger von nationalen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen machen. Hier sei die portugiesische Haltung hart und eindeutig.
Der zweite Schwerpunkt der Arbeit der Portugiesen liege auf der Bewältigung der Globalisierung. Der Binnenmarkt sei für das wirtschaftliche Wachstum allein nicht ausreichend. Heute gehe es um die globalen Märkte. Um Europa für die fortschreitende Globalisierung zu rüsten, brauche man eine neue Lissabon-Agenda, die die Schlüsselfelder Bildung, Forschung und internationale Beziehungen umfassen müsse. Der Globalisierungskontext beinhalte auch die Umweltproblematik und den demografischen Wandel. Frau Rodrigues sprach sich für ehrgeizigere Ziele der europäischen Politik aus: Die Union sollte mehr Kompetenzen in den Bereichen der Umwelt-, Arbeitsmarkt-, Migrations- und Bildungspolitik bekommen. In Sachen Energie- und Klimapolitik habe Europa bereits die Führung übernommen und werde komparative Vorteile erlangen. Ein Element der europäischen Arbeitsmarktpolitik sollte das Modell der Flexicurity werden, das Frau Rodrigues als Kombination von aktiver Arbeitsmarktpolitik und sozialem Schutz definierte. Die beste Form der sozialen Sicherheit sei jedoch die Bildung.
Drittens brauche Europa mehr gemeinsame außenpolitische Kohärenz. Mit Abschluss des Reformvertrages würden sich die Erwartungen der Nachbarn und Partner der EU erhöhen. Neben der Weiterentwicklung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und der internationalen Zusammenarbeit müsse vor allem ein Teil der inneren Politiken der Union nach außen projiziert werden – etwa in den Bereichen der Energieversorgung und des Umweltschutzes. Frau Rodrigues vertrat die These, dass die Supranationalisierung der Außenpolitik eine Chance zur Vergrößerung der Breite der Integration sei. Am Beispiel einer möglichen China-Politik erläuterte sie, dass es darum gehe, eine Win-Win-Situation zu schaffen. Sowohl China als auch die EU seien offen für die Globalisierung und müssten versuchen, eine nachhaltige Politik zu entwickeln. Die EU kann China als Referenz dienen, was die Möglichkeit einer konstruktiven Annäherung nicht nur in Umwelt- und Energiefragen biete. Auch zu Russland müsse Europa ein positives Verhältnis pflegen. Europa brauche Russland, Russland aber brauche auch Europa als Energieabnehmer, Investor und Modernisierungsanker. Die innenpolitischen Entwicklungen in Russland bewirkten allerdings, dass die derzeitige Agenda kaum als ehrgeizig bezeichnet werden könne.
Das inkohärente Auftreten der Europäischen Union nach außen bringe den Mitgliedstaaten Nachteile – so etwa in der Afrikapolitik. Während China und die USA langfristig angelegte Investitionen auf dem derzeit teilweise boomenden Schwarzen Kontinent tätigen, beschränkt sich die europäische Tätigkeit auf private Investitionen.
Die drei Prioritäten der Präsidentschaft vor Augen – die Verabschiedung des Reformvertrages auf dem informellen EU-Gipfel am 18./19. Oktober 2007, die Anpassung an die Bedingungen der Globalisierung und die Stärkung der europäischen Außenpolitik – betonte Maria João Rodrigues zum Abschluss noch ein Mal, dass diese drei Bereiche eng miteinander verflochten seien. Die Portugiesen seien daher fest entschlossen, auch eine schlaflose Nacht zu akzeptieren, um die Zustimmung aller Mitgliedstaaten zum Reformvertrag auf dem informellen Gipfel in Lissabon zu erreichen.