Im IEP-Mittagsgespräch sprach Prof. Dr. Heribert Hirte (MdB) in der Landesvertretung Baden-Württemberg über „TTIP als Herausforderung für das EU-Entscheidungssystem“. Die Veranstaltung wurde von Volker Ratzmann, Leiter der politischen Abteilung in der Landesvertretung, eröffnet. Dr. Katrin Böttger, stellvertretende Direktorin des Instituts für Europäische Politik (IEP), moderierte das IEP-Mittagsgespräch.
In seinem Vortrag machte Hirte deutlich, dass die USA sich wirtschaftlich und kulturell nicht nur Europa verbunden fühlen, sondern sich auch spürbar auf den pazifischen Raum konzentrieren würden. Deshalb sei es für die EU wichtig, ein transatlantisches Freihandelsabkommen mit einem effektiven Entscheidungssystem zeitnah umzusetzen. In Bezug auf die aktuelle Kritik an TTIP und insbesondere an privaten Schiedsgerichten erklärte Hirte, dass Handelsabkommen mit Investorenschutz durch private Schiedsgerichte kein Novum seien, sondern bereits seit längerer Zeit übliche Praxis in Europa. Die heftigen Vorwürfe, vor allem im deutschsprachigen Europa, seien teilweise auch auf einen latenten Antiamerikanismus zurückführbar. Allerdings stimmte Hirte der Kritik insofern zu, als er die geplanten Schiedsgerichtsverfahren für nicht ausreichend transparent hielt. Um das gesellschaftliche Vertrauen in das Rechtssystem zu erhöhen, müsse mehr Transparenz angestrebt werden. Außerdem gab Hirte zu Bedenken, dass kleine und mittelständige Unternehmen (KMU) finanzielle Unterstützung für die kostenaufwändigen Schiedsgerichtsverfahren benötigen würden. Durch eine Prozesskostenhilfe könnten KMU, die das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bilden würden, maßgeblich unterstützt werden. Zudem betonte er, dass Streitigkeiten zwischen amerikanischen und europäischen Unternehmen nur durch eine zwischenstaatliche Institution beigelegt werden könnten, da die nationalen Rechtssysteme nicht in der Lage wären, neutral zu richten.
Um der Skepsis vieler europäischer Bürger zu begegnen, müsse zukünftig festgelegt werden, ob die TTIP-Verhandlungen im alleinigen Zuständigkeitsbereich der EU liegen oder in Kooperation mit den nationalen Regierungen durchgeführt werden. Dies sei wichtig, um Klarheit in der Bevölkerung zu schaffen. Allerdings betonte Heribert Hirte auch, dass selbst bei einer rein europäischen Zuständigkeit das Abkommen ausreichend demokratisch legitimiert wäre, da genügend Spielräume für Einflussnahme durch die EU-Mitgliedstaaten bestünde. Mehrfach hob Hirte die positiven Effekte von Freihandel durch Skalenvorteile, Arbeitsteilung und Effizienzgewinn hervor. Obwohl der Abbau von Handelshemmnissen zweifellos zu Wohlstandsgewinnen und besserer Verbraucherzufriedenheit führen würde, hätten Nationalstaaten historisch schon immer versucht, Freihandelsbestrebungen zu konterkarieren. Hirte gab zu verstehen, dass er die Befürchtungen, TTIP könnte zu einer Abnahme von Qualitätsstandards führen, durchaus nachvollziehen könne, besonders im Lebensmittelbereich. Allerdings bestünde in Deutschland die Fehlauffassung, dass amerikanische Standards generell unter europäischen Richtlinien lägen. Hingegen seien viele amerikanische Produktionsvorschriften, gerade im Bereich der Konsumgüter, deutlich strenger formuliert. Generell seien harmonisierte Standards und erhöhter Wettbewerb immer im Interesse der Verbraucher.
In einer lebhaften Diskussion interessierte sich das Publikum vor allem dafür, wie TTIP in den USA wahrgenommen wird und welche Aspekte des Freihandelsabkommen dort kritisiert werden. Außerdem wurde gefragt, ob bilaterale Handelsabkommen nicht die Bestrebungen der WTO den Freihandel weltweit zu fördern entgegenwirken würden. Hirte erklärte, dass es im Interesse aller Staaten läge, weltweit Handelshemmnisse abzubauen, es aber äußerst schwierig sei, im Rahmen der WTO zu einem Konsens mit allen Mitgliedern zu kommen. Bilaterale Handelsabkommen könnten schneller, einfacher und effektiver umgesetzt werden.
Von: Bodo von Haumeder