Elmar Brok, MdEP, Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments, sprach anlässlich des Mittagsgesprächs des Instituts für Europäische Politik (IEP) am 4. Dezember 2015 in der Vertretung des Landes Sachsen-Anhalt beim Bund zum Thema „Megatrends der europäischen Integration“. Das Grußwort hielt Dr. Michael Schneider, Staatssekretär für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Bevollmächtigter des Landes Sachsen-Anhalt beim Bund. Prof. Dr. Mathias Jopp, Direktor des IEP, moderierte die Veranstaltung.
Zunächst lenkte Brok den Blick auf die grundlegenden Ursachen der Flüchtlingskrise: So sei die hohe Attraktivität der EU für Außenstehende als Raum des jahrzehntelangen Friedens, hohen Wohlstands und umfangreicher sozialer Sicherungssysteme – vermittelt über die Reichweite und Schnelligkeit moderner Medien in die letzten Winkel der Erde – ausschlaggebend für die Entscheidung vieler Menschen, sich auf den beschwerlichen Weg nach Europa zu machen. Folglich werden die Migrationsbewegungen nicht nachlassen, solange die Situation der Menschen z.B. in den Lagern in der Türkei, im Libanon und Jordanien sowie vor allem auch in ihren Heimatregionen in Syrien und anderenorts nicht verbessert wird.
Als zweite zentrale Herausforderung der europäischen Integration sah Brok Europas zukünftige Position in der Welt. Vor dem Hintergrund des Anfang Oktober unterzeichneten Transpazifischen Partnerschaftsabkommens (TPP) hob er das Risiko der Bedeutungslosigkeit Europas aus pazifischer Perspektive hervor und warnte, dass ein national zersplittertes Europa von Großmächten wie den USA und China an den Rand gedrängt werde. Daraus könne nur die Notwendigkeit tieferer Integration Europas im Binnenmarkt und der Abschluss des Transatlantischen Handels- und Partnerschaftsabkommens (TTIP) gefolgert werden. Brok wandte sich vor diesem Hintergrund gegen den Trend zur Renationalisierung. Die Nationalstaaten müssten ihre Interessen und Wünsche ehrlich ihren eigenen Möglichkeiten gegenüberstellen und gegebenenfalls anerkennen, dass sich bestimmte Interessen nur auf europäischer Ebene realisieren lassen – auch wenn dafür gewisse Abstriche gemacht werden müssten. Es sei daher besser, 60 Prozent an nationalen Interessen durch europäische Zusammenarbeit zu verwirklichen als null Prozent im nationalen Alleingang.
Was zum dritten den eigentlich vorhandenen Trend zu einer notwendigen Reform der Europäischen Union anbelangt, so machte Brok sich keine Illusionen darüber, dass die europäische Integration große Sprünge vorwärts machen könne. Integrationsfortschritte durch Vertragsänderungen seien aufgrund der mittlerweile hohen Anzahl der Mitgliedstaaten und wegen der dazu benötigten Einstimmigkeit auf mehreren Ebenen (Regierungen, Parlamente, ggf. Referenden) nicht zu erwarten. Sein Vorschlag ist daher, die europäische Zusammenarbeit innerhalb der bestehenden Verträge so weit wie möglich zu nutzen, da hier noch Ausschöpfungspotential existiere.
Mit Nachdruck trat Brok dafür ein, die Bürger im Hinblick auf die großen Trends der europäischen Integration besser mitzunehmen und zeitiger einzubeziehen. Darunter verstehe er vor allem breite Diskussionen über Ursachen und Lösungsmöglichkeiten von Problemen, wie sie durch anhaltende Migrationsströme, Risiken ökonomischer Marginalisierung und reflexhaft kleinstaatliches Denken ausgelöst würden. Dadurch solle auch Populismus, der aus Unwissenheit und mangelnder Bürgerbeteiligung Kapital schlägt, vorgebeugt werden.
Ausführlicher können Broks Einschätzung und Analyse der Megatrends der europäischen Integration in Heft 1 oder 2 der Vierteljahreszeitschrift integration im Jahr 2016 nachgelesen werden.
Von: Martin Pötzsch