Aus aktuellem Anlass sprach Dr. Wilhelm Schönfelder, Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei der Europäischen Union, bei einem Mittagsgespräch im Institut für Europäische Politik im Jean-Monnet-Haus am 22. Juni 2004 zum Thema „Ergebnisse des Europäischen Verfassungsgipfels – Perspektiven für die EU-25“. Im Vordergrund standen dabei die Ergebnisse des Europäischen Rates vom 17./18. Juni 2004 in Brüssel und die erzielte Einigung im Hinblick auf den Vertrag über eine Europäische Verfassung.
Den Vertrag über eine Europäische Verfassung, auf den sich die Staats- und Regierungschefs ohne 'left-overs' geeinigt hätten, lobte Schönfelder als den bedeutendsten Integrationsschritt in der EU seit den Römischen Verträgen. In vier zentralen Punkten seien große Fortschritte erzielt worden. So sei die Handlungsfähigkeit der EU im institutionellen Bereich durch den hauptamtlichen Präsidenten des Europäischen Rates, den Europäischen Außenminister, das Prinzip der doppelten Mehrheit und die Ausdehnung der Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit gestärkt worden. Zweitens seien durch die Stärkung des Europäischen Parlaments, welches Schönfelder als den eigentlichen Gewinner der Verfassung bezeichnete, sowie durch die direkten Beteiligungsmöglichkeiten der nationalen Parlamente und die Übernahme der Grundrechtecharta in die Verfassung das demokratische Prinzip und die Grundfreiheiten in der EU gestärkt worden. Darüber hinaus seien, drittens, auch im Hinblick auf Transparenz und Verständlichkeit der EU große Fortschritte erzielt worden. Dies drücke sich aus in der Einigung auf eine einheitliche Rechtspersönlichkeit für die Europäische Union, die klarere Kompetenzabgrenzung (nach dem Vorbild des deutschen Grundgesetzes) und die Reduzierung auf sechs unterschiedliche Rechtsakte zum Ausdruck. Ausführlich ging Schönfelder in einem vierten Punkt auf die Weiterentwicklungen in den Bereichen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) und im Bereich des Raumes der Freiheit der Sicherheit und des Rechts (RFSR) ein.
Das Kernstück der Fortentwicklung der GASP sei die Schaffung des Amtes eines Europäischen Außenministers, der durch den Vorsitz im Rat für Auswärtige Angelegenheiten, als Vizepräsident der Kommission und die Übernahme der Funktionen des Hohen Vertreters ein machtvoller Spieler auf der Brüsseler Bühne sein werde. Nach der voraussichtlichen Unterzeichnung des Verfassungsvertrags im Herbst 2004 könne außerdem mit dem Aufbau des Europäischen Diplomatischen Dienstes begonnen werden, der sich aus Vertretern der nationalen diplomatischen Korps, der Kommission und des Generalsekretariats des Rates zusammensetzen werde. In diesem Zusammenhang verwies Schönfelder auf die Möglichkeit, einzelne nationale diplomatische Vertretungen in kleineren Entwicklungsländern perspektivisch durch EU-Botschaften zu ersetzen. Als weniger zufriedenstellend des Verfassungsvertrags bezeichnete Schönfelder das Scheitern der Ausweitung von Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit im Bereich der GASP.
Integrationspolitisch betrachtet sei die ESVP das Politikfeld, in dem sich seit dem Gipfel von Köln 1999 die größte Dynamik entfaltet hätte. Deutliche Anzeichen hierfür bildeten die Übernahme von vier Militärmissionen durch die EU und die Verabschiedung der Europäischen Sicherheitsstrategie. Als Motor der vertieften Integration im Verteidigungsbereich könne sich die Europäische Verteidigungsagentur erweisen, deren Aufbau ähnlich wie beim Europäischen Diplomatischen Dienst noch in diesem Jahr begonnen werden könne.
Auch im Bereich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts seien durch die Auflösung der Säulenstruktur, die Harmonisierung des Strafrechts, die Einführung von Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit sowie dem Aufbau einer Agentur zum Schutz der Außengrenzen bedeutende Fortschritte erzielt worden.