Eine neue Ära der europäischen Balkanpolitik beginnt Mittagsgespräch mit Dr. Erhard Busek, Koordinator des in der bisherigen Form auslaufenden Stabilitätspakts für Südosteuropa, im Rahmen des IEP-Schwerpunktprogramms gemeinsam mit dem Dialog Europa der Otto-Wolff-Stiftung
Eine neue Ära der europäischen Balkanpolitik beginnt – mit dieser Feststellung eröffnete Dr. Erhard Busek, der scheidende Koordinator des in der bisherigen Form auslaufenden Stabilitätspakts für Südosteuropa, seinen Vortrag zum Thema „Europäische Perspektiven des westlichen Balkans“. Die Verantwortung für die Stabilität der Region wird nach dem Ende von Buseks Amtszeit auf den undefinedRegional Cooperation Council übertragen und damit zurück in die Hände der regionalen Akteure gelegt.
2003 hat die EU den Ländern Südosteuropas die Beitrittsperspektive angeboten. Im Vergleich mit den mittel- und osteuropäischen Staaten haben die Balkanstaaten jedoch nicht nur die Bürde der Transformation zu tragen, sondern auch die Folgen der brutalen Bürgerkriege und des organisierten Verbrechens und zudem die Entstehung von fünf unabhängigen Staaten zu bewältigen.
EU-Balkanpolitik als Motor der GASP
Erhard Busek unterstrich die geopolitische Bedeutung Südosteuropas für die EU. Insbesondere für die aktuellen Bemühungen um eine gemeinsame Energieaußenpolitik spielen die Staaten Südosteuropas eine wichtige Rolle. Hier müsse Europa Russland gegenüber mit einer Stimme sprechen.
Das europäische Engagement in Südosteuropa sei ein Motor für die Entwicklung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik gewesen, so Busek. Doch eine kohärente Außenpolitik könne nur ein starker Vertreter, der für die gesamte EU spreche, garantieren. Die EU habe sich auf dem Balkan dort bewährt, wo sie Kompetenzen hatte, und dort versagt, wo ihr diese fehlten, bilanzierte Busek. Es sei zu überlegen, welche Kompetenzen die EU bekommen sollte, um noch erfolgreicher Hilfestellung leisten zu können. Notwendig seien einheitliche europäische Strukturen, wobei für eine Aufgabe eine Institution zuständig sein müsse.
Bezüglich der Visa-Frage bezog Busek eindeutig Stellung und plädierte für die vollständige Abschaffung von Visa für die Bürger der Balkanstaaten. Sie seien ohnehin ungeeignet, transnationale Kriminalität zu verhindern, sondern erschwerten den gegenseitigen Austausch zwischen den Bürgerinnen und Bürgern der EU und des Balkans. Das wirke sich verheerend auf die Annäherung der Region an Europa aus.
Bestenfalls Waffenstillstand – bestehende Probleme in der Balkanregion
Busek skizzierte die aktuellen Probleme der jeweiligen Staaten des westlichen Balkans. Der Beitritt Kroatiens würde durch den negativen Ausgang des Referendums über den Vertrag von Lissabon verzögert. Albanien werde viel länger für die Transformation benötigen als die anderen. Das dort vorherrschende Clan-System führe immer wieder zu brutal ausgetragenen Konflikten verfeindeter Gruppen. Bosnien-Herzegowina habe es bisher nicht geschafft, die innere Integration zu vollziehen. Die geltende Verfassung bezeichnete Busek „bestenfalls als Waffenstillstand“. Die föderalen Strukturen seien in höchstem Maße ineffizient. Das Land habe mit einer hohen Abwanderung zu kämpfen. In Mazedonien sei die Frage der Amtssprache und der offiziellen Staatsbezeichnung noch nicht endgültig geklärt. Die Arbeitslosigkeit betrage dort 30%. In Montenegro hingegen zeichne sich eine derart positive wirtschaftliche Entwicklung ab, dass es auf dem dortigen Arbeitsmarkt eine Arbeitskräfteknappheit gebe. Serbien habe die größten Chancen, die Beitrittskriterien zu erfüllen, blockiere sich jedoch selbst durch die ablehnende Haltung zur Unabhängigkeitserklärung des Kosovo. Die Frustration über den Zerfall Jugoslawiens und die Abspaltung des Kosovo von Serbien nähre die nationalistischen Tendenzen und verhindere eine Annäherung an die EU.
Mehr Unterstützung für den Kosovo
Der Kosovo hat Busek zufolge große Chancen, Stabilität zu erreichen. Die EU müsse den neuen Staat massiv unterstützen, wobei die ersten Reaktionen der Gemeinschaft desorganisiert erschienen. Bei einer Arbeitslosigkeit von 50% und einem Anteil unter 30-Jähriger von 70% brauche es Hilfe der EU, um eine funktionierende Staatlichkeit aufzubauen.
Zum Schluss forderte der scheidende Koordinator des Stabilitätspaktes von den Staaten des westlichen Balkans mehr Engagement, um die Kriterien für die Aufnahme in die EU zu erfüllen. Er sprach sich gegen Zeithorizonte für den Beitritt aus, sondern plädierte dafür, ein Land erst dann aufzunehmen, wenn es die Kriterien erfülle. Die EU ihrerseits habe die Beitrittsperspektive zwar angeboten, müsse sich jedoch auch selbst reformieren. Für weitere Integrationsschritte in der Energie-, Klima- oder Sicherheitspolitik jenseits des kleinsten gemeinsamen Nenners sei eine europäische Öffentlichkeit notwendig.