Die Rückbesinnung auf 50 Jahre erfolgreiche europäische Integration müsse zum Anlass genommen werden, so Axel Schäfer MdB, Europapolitischer Sprecher der SPD-Fraktion des Deutschen Bundestages, um vier zentrale Bereiche der Europäischen Integration einer Überprüfung zu unterwerfen. Schäfer nannte in diesem Zusammenhang die Gesamtausrichtung, die Verfasstheit, die Erweiterung sowie weitere Politisierung der Europäischen Union. Zunächst bedürfe die Union einer neuen Begründung. Diese bereits von Bundeskanzlerin Merkel und Außenminister Steinmeier formulierte Notwendigkeit beinhalte die Selbstverpflichtung der Politik, die gesammelten Erfahrungen des letzten Jahrhunderts in ein neues, zukunftsfähiges Projekt zu übertragen. So müsse die Europäische Union beispielsweise als aktiver Mitgestalter der Globalisierung wirken und den Weg zurück in die „Herzen“ der jungen Generation finden. Die Union müsse als Teil der Lösung und nicht als Teil des Problems auftreten. Die geforderte „Neubegründung“ beinhalte zudem eine „Selbstvergewisserung der europäischen Gedankenträger“, dass die Methode Monnet – die schrittweise Vertiefung der europäischen Integration ohne Festlegung einer Finalität – noch immer funktioniere. Die Einzigartigkeit der Europäischen Union mache sie für viele andere multinationale Zusammenschlüsse weltweit zu einem nachahmenswerten Vorbild. Deshalb sollten sich die europäischen Entscheidungsträger selbstbewusster, aber auch selbstkritischer für die Union einsetzen, betonte Schäfer. Für Deutschland gelte als Leitbild der europäischen Integration bis heute „als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen“ (Präambel des deutschen Grundgesetzes).
Die Europäische Verfassung bleibe ebenso auf der europapolitischen Agenda wie die Frage der zukünftigen Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik der Europäischen Union. Schäfer forderte, am Verfassungsvertrag festzuhalten und all diejenigen Mitgliedstaaten, die den Text bereits ratifiziert hätten, ebenfalls darauf zu verpflichten. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft werde aus diesem Grund ab April 2007 einen Gesprächsprozess mit allen EU-Partnern in Einzelgesprächen beginnen, der in einer Lösung für die Verfassungskrise münden solle. Mit Sensibilität und Respekt müsse dabei den Vorbehalten derjenigen begegnet werden, die den Vertrag noch nicht ratifiziert hätten. Dennoch hätten auch diese Mitgliedstaaten die Verpflichtung, sich aktiv in den Verfassungsprozess einzubringen. Zwar würde Schäfer die Verabschiedung des Verfassungsvertrages mit der im Januar 2007 vermutlich erreichten 2/3 Mehrheit befürworten, doch verpflichte die Realität zur Rücksichtnahme auf die gescheiterten Referenden in Frankreich und den Niederlanden. In enger Absprache mit den im November 2006 bzw. Juni 2007 neu gewählten Regierungen dieser beiden Länder müsse das Ziel einer Verfassung für die Europäische Union konsequent angegangen werden.
Schäfer widersprach der aktuell vielfach geäußerten Forderung nach einem „Erweiterungs-Stopp“ im Anschluss an die Beitritte Rumäniens und Bulgariens. Die Perspektive einer EU-Mitgliedschaft müsse auch weiterhin für den Ausbau von Solidarität und Stabilität in den Staaten des Westbalkans sorgen. Darüber hinaus wolle kein politisch Verantwortlicher Ländern wie der Schweiz und Norwegen ernsthaft den Weg in die Union verstellen. Ob eine Vollmitgliedschaft der Türkei gelinge, sei unklar. Grundsätzlich dürfe die Erweiterungspolitik der Europäischen Union keinem Dogma und keinen festen Terminen unterworfen werden, sie sei vielmehr abhängig von den Reformprozessen der (potentiellen) Beitrittskandidaten. Dies gelte auch für Staaten wie die Ukraine. Ebenso müsse die Europäische Nachbarschaftspolitik in ihrer Zielsetzung offen bleiben.
Abschließend befürwortete Schäfer eine stärkere Politisierung der Europäischen Union zur Überwindung der EU-Verdrossenheit der Bürger. Deshalb sollten die Wähler die Möglichkeit erhalten, sich für Spitzenkandidaten der europäischen Parteienfamilien zu entscheiden und auf diese Weise ihre Präferenz für einen Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten zu formulieren. Die Mitgliedstaaten sollten außerdem den Mut haben, das Kollegium neu zusammenzusetzen und somit Kommissare, Vizekommissare und Staatssekretäre gemäß der Anzahl der Mitgliedstaaten vorzusehen. Jedoch sollten die Ressorts auf ein sinnvolles, vernünftiges Maß begrenzt werden. Auf diese Weise könne die Handlungsfähigkeit dieser europäischen Institution besser gesichert werden.
[Die Veranstaltung wurde im Rahmen des „Dialog Europa“ der Otto Wolff-Stiftung und mit Unterstützung der ASKO-EUROPA Stiftung durchgeführt.]