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Die Schicksalswahl und ihre Folgen – ein Jahr nach der Europawahl
26.05.2020

Christian Lue / Unsplash
Christian Lue / Unsplash

Die Stimmung nach der Europawahl, der Einflusses der Mitgliedsstaaten, nationalstaatliches Handeln: Katarina Barley, nationale Spitzenkandidatin der SPD bei der Europawahl 2019, hat über den Stand der Dinge nach der vergangen EU Wahl diskutiert.

Am 26. Mai 2020 fand das IEP-Mittagsgespräch zum Thema „Die ‚Schicksalswahl‘ und ihre Folgen – ein Jahr nach der Europawahl“ statt – aufgrund der Covid-19-Pandemie erstmalig in digitaler Form. Es diskutierten Dr. Katarina Barley, nationale Spitzenkandidatin der SPD bei der Europawahl 2019 und heute Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments sowie Prof. Dr. Michael Kaeding, Jean-Monnet-Professor „ad personam“ an der Universität Duisburg-Essen und Mitherausgeber des Sammelbands Die Europawahl 2019. Ringen um die Zukunft Europas. Georg Pfeifer, Leiter des Verbindungsbüros des Europäischen Parlaments in Deutschland, begrüßte die Teilnehmenden. Moderiert wurde die Veranstaltung von Dr. Katrin Böttger, Direktorin am Instituts für Europäische Politik (IEP).

Zum Auftakt des Gesprächs zeichnete Georg Pfeifer ein grundsätzlich positives Stimmungsbild nach der Europawahl: Neben einer gestiegenen Wahlbeteiligung in vielen europäischen Ländern sei auch der befürchtete Rechtsruck ausgeblieben. Allerdings habe das folgende Jahr auch Dämpfer gebracht: Das gescheiterte Spitzenkandidat:innenverfahren, schwierige Koalitionsbildungen und das zurzeit grassierende Coronavirus bildeten die größten Herausforderungen für das Europäische Parlament seit Mai 2019.

Katarina Barley betrachtete die Zeit seit der Wahl aus einer persönlichen Perspektive: Die Entscheidung, aus der nationalen Politik ins Europäische Parlament zu wechseln, habe sie als eine Chance wahrgenommen, Innovation und Entwicklung europäisch anzugehen. Das Scheitern des Spitzenkandidatenverfahrens sei nicht als Versagen des Parlaments anzusehen, da es stets auf die Einhaltung dieses Instruments beharrt habe. Vielmehr sei eine allgemeine Machtverschiebung zugunsten der Mitgliedsstaaten zu beobachten, die eine Einflussnahme auf die Entwicklung der Europäischen Union zunehmend als notwendig ansähen, um ihre eigenen nationalstaatlichen Interessen umzusetzen. Symptomatisch für das Verhalten der Mitgliedstaaten sei auch der Reflex, in Zeiten der Krise in nationalstaatliches Handeln zurückzufallen. So sei es paradox, dass nach Ausbruch der Covid-19-Pandemie das Fehlen europäischer Lösungen beklagt worden sei, obwohl die einschlägigen Kompetenzen für wichtige Politikbereiche wie das Gesundheitswesen, Grenzkontrollen oder die innere Sicherheit bei den Nationalstaaten liegen.

Michael Kaeding analysierte eine Reihe von Veränderungen, die sich durch die Europawahl in der Arbeitsweise des Europäischen Parlaments ergeben hätten. So habe der Mehrheitsverlust der großen Koalition aus Europäischer Volkspartei (EVP) und Sozialdemokraten (S&D) kleinere Fraktionen gestärkt. Neu sei nicht nur, dass ein Mitte-links-Bündnis aus Sozialdemokraten, Liberalen, Grünen und Linken nun wieder eine Mehrheit im Parlament erreiche, sondern auch, dass die rechtsextreme Fraktion deutlich geschlossener auftrete als in der Vergangenheit. Allgemein sei das Abstimmungsverhalten der Fraktionen allerdings weniger kohärent geworden, wobei auch nationalstaatliche Interessenunterschiede innerhalb von Fraktionen sichtbarer würden. Des Weiteren wies Kaeding auf den ungewöhnlich hohen Anteil neuer Abgeordneter im Parlament hin, die allerdings durch erfahrene Assistent:innen und Mitarbeiter:innen unterstützt würden. Dies ergebe eine interessante Symbiose hinsichtlich der Arbeitsfähigkeit des Parlaments: neuer Wind, aber Kontinuität in der parlamentarischen Arbeit.

In der anschließenden Diskussion wurde über Tendenzen bezüglich des wachsenden Einflusses der Mitgliedsstaaten debattiert: Die Entwicklung des Spitzenkandidat:innenverfahrens, Abstimmungen in den Fraktionen nach nationalen Leitlinien, aber auch die Fragilität des Schengener Abkommens ließen sich als Renationalisierungsprozess der EU-27 verstehen. Dem nationalstaatlichen Diskurs müssten starke, europäische Institutionen entgegengesetzt werden, wobei die Konferenz zur Zukunft Europas Hoffnung mache und als europäische Chance gesehen werden könne. Auch an die deutsche EU-Ratspräsidentschaft ab Juli 2020 würden in der ganzen EU hohe Erwartungen geknüpft. Neben dem Mehrjährigen Finanzrahmen müssten Rechtsstaatlichkeit, Nachhaltigkeit und Digitalisierung entscheidend vorangebracht werden und stünden somit ganz oben auf der Agenda.

Ob die Europawahl 2019 eine „Schicksalswahl“ war, blieb am Ende des Gesprächs offen. Auch in einer kurzen Umfrage unter den anwesenden Gästen hielten sich „Ja“ und „Nein“ unter den Antworten nahezu die Waage.

Team & Autor:innen

Über das Europagespräche Projekt: Die Europagespräche des IEP bringen Bürger:innen, Entscheidungsträger:innen, Wissenschaftler:innen und die Zivilgesellschaft zusammen, um Herausforderungen und Perspektiven der europäischen Integration zu diskutieren. Damit fördern sie die europapolitische Debatte in Deutschland.

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Bild Copyright: Christian Lue / Unsplash