Jahrbuch der Europäischen Integration 2016
Europa hat den Krisenmodus nicht verlassen, er hat sich im Jahr 2016 sogar verschärft. Die Migrationsproblematik stellte die zwischenstaatlichen Beziehungen und die Akzeptanz der Union weiterhin vor eine harte Belastungsprobe. Zum einen wird den Mitgliedstaaten ein fehlendes Gemeinschaftsgefühl und ein hohes Konfliktpotential attestiert, die die derzeitige Anpassungspolitik der Union gerade in der Flüchtlingspolitik hemmen. Zum anderen wird insbesondere in den Beitragen zu den Mitgliedstaaten deutlich, dass Europas multiplen Problemlagen wie Katalysatoren einer tiefgreifenden Vertrauenskrise in den europäischen Bevölkerungen wirken. Wesentliche Treiber sind auch die nachhaltige Instabilität in der Wirtschafts- und Währungsunion sowie die immer noch ungelöste Griechenlandfrage. Diese Entwicklungen haben aber auch dazu beigetragen, dass Deutschland zum unverzichtbaren Akteur in der Europäischen Union wurde, wie Simon Bulmer und William Paterson im diesjährigen Gastbeitrag „Deutschlands Rolle bei der Bewältigung der europäischen Währungs- und Migrationskrisen“ darlegen.
Einen EU-weiten Schock sowie erhebliche politische und wirtschaftliche Unsicherheiten löste das Votum einer knappen Mehrheit der Britinnen und Briten vom 23. Juni 2016 für einen Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union aus. Schließlich wäre der EU-Austritt Großbritanniens ein Präzedenzfall in der Geschichte der europäischen Integration, der nur zu deutlich vergegenwärtigt, welche Folgen durch Populismus angeheizte antieuropäische Stimmungen haben können.
Aber allein der Blick auf Europas Krisenmodus greift zu kurz und verkennt die historischen Errungenschaften der europäischen Integration und ihre Vorzüge für die Unionsbürgerinnen und ‑bürger – geht es dabei um den EU-weiten Verbraucherschutz, Produktsicherheit, Reise- und Wohnsitzfreiheit oder um gemeinsame Umweltstandards. Im diesjährigen Jahrbuch wird abermals deutlich, dass in vielen Bereichen gerade das Stück an „Nicht-Europa“ Probleme mitverursacht hat und das europäische Krisenmanagement erschwert. Schließlich wird in den Beiträgen konsequent die Notwendigkeit europäischer Antworten auf die zentralen internen und externen Herausforderungen unterstrichen, aber auch grundsätzlichere Debatten gefordert, in denen der Krisenkontext auch als Chance für die weitere Ausgestaltung und den zukünftigen Kurs des europäischen Integrationsprozesses genutzt werden soll.
Das „Jahrbuch der Europäischen Integration“ des Instituts für Europäische Politik (Berlin) dokumentiert und bilanziert seit 1980 zeitnah und detailliert den europäischen Integrationsprozess. Entstanden ist in 36 Jahren eine einzigartige Dokumentation der europäischen Zeitgeschichte. Das „Jahrbuch der Europäischen Integration 2016“ führt diese Tradition fort. In rund 100 Beiträgen zeichnen die Autorinnen und Autoren in ihren jeweiligen Forschungsschwerpunkten die europapolitischen Ereignisse des Berichtszeitraums 2015/16 nach und informieren über die Arbeit der europäischen Institutionen, die Entwicklung der einzelnen Politikbereiche der EU, Europas Rolle in der Welt und die Europapolitik in den Mitgliedstaaten und Kandidatenländern. Die Jahrbücher und damit über drei Jahrzehnte europäischer Zeitgeschichte stehen zudem unter www.Wissen-Europa.de online zur Verfügung.
Das „Jahrbuch der Europäischen Integration“ ist ein Projekt des Instituts für Europäische Politik, Berlin, das in Kooperation mit dem Centrum für angewandte Politikforschung der Universität München (C.A.P.) und des Centre for Turkey and European Union Studies (CETEUS) der Universität zu Köln verwirklicht wird.
Prof. Dr. Dr. h.c. Werner Weidenfeld / Prof. Dr. Wolfgang Wessels (Hrsg.):
Jahrbuch der europäischen Integration 2016,
Nomos Verlag, Baden-Baden, 2016, 611 S., brosch., ca. 84,- Euro
ISBN 978–3‑8487–3200‑5
Das „Jahrbuch der Europäischen Integration“ wird vom Auswärtigen Amt gefördert. Für die Inhalte zeichnet alleine das IEP verantwortlich.