PAIC-Konferenz in Berlin diskutiert die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Ukraine
Am 8. Juni fand in den Räumlichkeiten der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland die erste PAIC-Konferenz zum Thema „Die Europäische Union und die Ukraine: Wie kann die Zusammenarbeit und der Reformkurs nachhaltig gestaltet werden?“. Die Veranstaltung wurde im Rahmen des Projekts „Platform for Analytics and Intercultural Communication“ (PAIC) durchgeführt.
Die Ukraine befindet sich seit dem Regierungswechsel im Jahr 2014 und dem vollständigen Inkrafttreten des Assoziierungsabkommens zwischen der Europäischen Union und der Ukraine 2017 auf dem Weg eines tiefgreifenden Wandels. Die Implementierung des Assoziierungsabkommens sieht nicht nur die Übernahme von EU-Rechtsvorschriften durch die Ukraine vor, sondern auch eine engere Zusammenarbeit und umfassende Reformen in zahlreichen Bereichen, die von europäischer Seite finanziell, technisch und beratend unterstützt werden. Doch obgleich die ukrainische Regierung mehr Reformen in den vergangenen drei Jahren angestoßen hat als in den zwei Jahrzehnten zuvor, ist der Druck ihrer europäischen Partnerländer und von Seiten der Zivilgesellschaft essentiell für den langfristigen Erfolg der Reformen. Eine kontinuierliche Kommunikation von Informationen an die Bevölkerung ist dabei genauso wichtig wie sichtbare und erfahrbare Verbesserungen im alltäglichen Leben.
Vor dem Hintergrund der Transformation in einem EU-Anrainerstaat und als Prioritätspartner der Östlichen Partnerschaft, stand bei der diesjährigen Ukraine-Konferenz eine Frage im Vordergrund: In welchen Bereichen kann die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und der Ukraine vertieft und der Reformkurs nachhaltig gestaltet werden?
Ukraine-EU-Beziehungen auf stabilem Fundament
Der Europäischen Union sei sehr an einer erfolgreichen Umsetzung der Reformen und Modernisierung des ukrainischen Staates gelegen, wie Richard Kühnel, Leiter der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland, in seinem Grußwort bekräftigte. Die Reformen seien wichtig, um der Bevölkerung sichtbare Verbesserungen zu ermöglichen und die wirtschaftlichen Potenziale der Ukraine zu entwickeln. Diesen Prozess werde die Europäische Union weiterhin unterstützen und begleiten. Dr. Katrin Böttger, Direktorin des Instituts für Europäische Politik (IEP), erwähnte in ihrem Grußwort die vielseitigen Projekte des IEP, die zur Stärkung der Zivilgesellschaft und Verbesserung institutioneller Kapazitäten in der Ukraine tätig sind. Iryna Tybinka, Gesandte der Botschaft der Ukraine in der Bundesrepublik Deutschland, verwies auf bereits implementierte Aspekte des Assoziierungsabkommens, den vermehrten Austausch durch Visafreiheit und das starke Fundament der Beziehungen zwischen der Ukraine und der Europäischen Union. Auch seien erste Erfolge in der Korruptionsbekämpfung zu verzeichnen – etwa die jüngste Verabschiedung des Gesetzes zur Schaffung eines Antikorruptionsgerichts. Taras Kachka, stellvertretender Direktor der International Renaissance Foundation (IRF) forderte in seiner Begrüßungsansprache einen intensiveren Expertendialog und mehr Forschung.
Intensive Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und der EU
Das erste der drei Panels debattierte unter der Moderation von Dr. Katrin Böttger Veränderungen in der ukrainischen politischen Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft seit 2014 und sprach über Möglichkeiten vertiefter Zusammenarbeit. Stefan Schleuning, Team-Leiter der finanziellen Zusammenarbeit der Support Group for Ukraine der Europäischen Kommission, betonte die eng verzahnte Kooperation zwischen der Europäischen Union und der Ukraine, die fast wöchentlich stattfindende hochkarätige Treffen einschließe und durch eine Vielzahl an sektoraler Unterstützung, etwa der Grenzmission EUBAM (European Union Border Assistance Mission to Moldova and Ukraine) oder der Sicherheitsmission EUAM (European Union Advisory Mission) erweitert werde. Weiterhin stellte er die Einzigartigkeit der Support Group heraus, die kein Gegenstück in der gesamten Europäischen Nachbarschaftspolitik besitze. Diese enge Kooperation zeige bereits große Erfolge, so dass in den letzten vier Jahren mehr Reformen durchgeführt wurden als in den Jahren seit der Unabhängigkeit. In diesem Zusammenhang betonte Sergiy Solodkyy, erster stellvertretender Direktor des New Europe Centers in Kiew, dass ein Wandel sowohl bei der politischen Elite als auch innerhalb der Bevölkerung sichtbar sei. Die UkrainerInnen sähen die Assoziierung der Ukraine mit der EU weniger verklärt und zunehmend realistischer. Sie hätten anerkannt, dass das strategische Ziel der EU-Mitgliedschaft nur über viele kleine Schritte, etwa der Energieunion oder Digitalunion, zu erreichen sei. Der äußere Druck und die Mobilität durch die Visaliberalisierung spielten hierbei eine überaus wichtige Rolle, um die notwendigen Veränderungen durchzusetzen.
Große Bedeutung wurde der Stärkung der Zivilgesellschaft beigemessen, was beispielsweise durch Austauschprogramme für Fachkräfte, ÄrztInnen, Pflegepersonal oder Lehrkräfte erreicht werden könne, so Schleuning. Auch Wilfried Jilge, Programmmitarbeiter der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin, sprach sich für eine verstärkte Kooperation im Bildungssektor aus, nach dem Vorbild eines „Marshall Plans für Bildung“. Außerdem müsse die Kommunikation mit der Bevölkerung intensiviert werden, da Reformen ohne breite Unterstützung der Gesellschaft nicht nachhaltig seien. Eine große Bedeutung in den Beziehungen zwischen der Ukraine und der Europäischen Union misst Jilge der veränderten Ukrainepolitik Deutschlands zu. So sei die Ukraine nach der Annexion der Krim durch Russland und nach Beginn des bewaffneten Konflikts im Donbass nicht nur in den medialen Blickpunkt geraten. Sie habe auch einen wichtigen Platz in der Außenpolitik Deutschlands eingenommen. Eine Unterstützung der Justizreform sei dabei von besonderem Interesse, um alle weiteren Reformen nachhaltig umsetzen zu können. Auch solle die Europäische Union dabei helfen, die Lebenssituation der Bevölkerung sichtbar zu verbessern, etwa durch die Investition in kleine und mittelständische Unternehmen.
Neue interne Expertise, Europäische Partner und die Zivilgesellschaft treiben die Reformen voran
Nachdem das erste Panel bereits die Europäische Union als Reformtreiber und deren Strategie des „Förderns und Forderns“ in Bezug auf die Visaliberalisierung diskutiert hatte, erörterten die DiskutantInnen unter der Moderation von Ljudmyla Melnyk, wissenschaftliche Mitarbeiterin am IEP, auf dem zweiten Panel die Frage, wie das Tempo der Reformen aufrechterhalten und gestützt werden könnte.
Anton Yashchenko, Direktor des Reforms Delivery Office des Ministerkabinetts der Ukraine, zeigte zunächst die Prioritäten der ukrainischen Regierung auf. Nach der makroökonomischen Stabilisierung zwischen 2014 und 2016 und den Sozialreformen bis 2017 liege der Fokus der nächsten drei Jahre auf Reformen für wirtschaftliches Wachstum, die nicht nur Antikorruptions- und Rechtsstaatlichkeitsmaßnahmen, sondern auch die Reform der öffentlichen Verwaltung umfassen. Erste Erfolge seien bereits in den Bereichen E‑Government, Transparenz und Dezentralisierung sichtbar. Durch die Einrichtung von Direktoraten in zehn Ministerien mit über 1300 Staatsbediensteten verankere die neue Struktur des öffentlichen Dienstes Policy Analyse in der Entscheidungsfindung der Regierung und erhöhe die Kapazitäten der regierungsinternen Expertise zur Umsetzung von Reformen. Schwierig hingegen sei die Kommunikation der langfristig verlaufenden Reformen an die Bevölkerung, die schnelle Ergebnisse und spürbare Veränderungen erwarte.
Halyna Pastukh, stellvertretende Direktorin der Datenjournalismus- und Analyseplattform TEXTY.org.ua, ging in ihrem Inputvortrag auf die Situation von Open Data in der Ukraine ein, die sie als wesentliches Mittel der Zivilgesellschaft betrachtet, sich informiert und faktenbasiert in die Politik einzubringen. Die Ukraine zeige zwar Verbesserungen in diesem Bereich im internationalen Vergleich, es fehle allerdings weiterhin an technischer Expertise der Behörden, um die Reform erfolgreich zu gestalten. Ein Großteil der bereitgestellten Datensätze sei nicht maschinenlesbar aufbereitet und durch unkorrekte Verschlagwortung nur mühsam nutzbar.
Einen Blick auf die Reformbemühungen aus Sicht der Bevölkerung bot Iryna Bekeshkina, Direktorin der Ilko Kucheriv Democratic Initiatives Foundation (DIF), die Umfrageergebnisse vorstellte. Für die Bevölkerung besitze die Antikorruptionsreform und Justizreform höchste Priorität. 56% der Befragten sehen jedoch keinerlei Erfolge im generellen Reformbestreben der Ukraine, im Falle der Korruptionsbekämpfung seien es sogar 83%, was wiederum zum Teil auf eine unsystematische Kommunikation der Reform zurückzuführen sei. Eine erfolgreiche Strategie sieht Bekeshkina in der Kooperation zwischen der Zivilgesellschaft und westlichen Partnern sowie der Unterstützung der Regierung im Aufbau einer effektiven Kommunikationsstruktur, da sich nur 10% der Bevölkerung als zufriedenstellend informiert beschrieben. Eine schlechte Kommunikation führe zu Misstrauen und einer Ablehnung von Wandel. Dr. Susan Stewart, Wissenschaftlerin an der Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP), merkte an, dass die EU jedoch kein Vorbild in der Kommunikation sei, da sie selbst große Probleme in diesem Bereich aufweise. Die Herangehensweise externer Akteure habe sich gewandelt, da sie sowohl die Potenziale der Ukraine als auch die großen Schwierigkeiten des ukrainischen Staates, nachhaltige Institutionen auszubilden, besser einzuschätzen lernten.
Die europäische Union ist zum größten Handelspartner der Ukraine avanciert
Die strategische Planung der ukrainischen Regierung sieht in den nächsten Jahren Reformen für wirtschaftliches Wachstum vor. Auch im Handel spielt das Verhältnis zwischen der Ukraine und der Europäischen Union eine gewichtige Rolle. Im dritten Panel diskutierten ExpertInnen und Moderator Taras Kachka, stellvertretender Direktor der International Renaissance Foundation (IRF), die wirtschaftliche Kooperation unter der Fragestellung, ob eine stark sichtbare Verbesserung der ukrainischen Ökonomie zu erwarten sei.
Pamela Preusche, Stabsleiterin für EU-Beziehungen zu Osteuropa, Südkaukasus und Zentralasien und der Östlichen Partnerschaft im Auswärtigen Amt, machte deutlich, dass sich die positiven wirtschaftlichen Effekte erst nach und nach einstellen werden. Gleichzeitig zeigten die Investition von zwei Milliarden Euro für technische Zusammenarbeit von Seiten der EU – eine Summe, die bislang kein Land zuvor erhalten habe –, dass die Entwicklung der Ukraine optimistisch gesehen werde; auch vor dem Hintergrund, dass noch nie so viele Reformen im Land auf den Weg gebracht wurden. Problematisch werde es jedoch an dem Punkt, an dem die formale Implementierung der Reformen wichtiger werde als die Erreichung sichtbarer Verbesserungen.
In ihrem Beitrag ging Veronika Movchan, akademische Direktorin des Institutes for Economic Research and Policy Consulting, auf die wirtschaftlichen Veränderungen seit der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens ein. Besonders hervorzuheben sei die Verbesserung des Investitionsklimas durch die Stärkung des Eigentumsrechts als Voraussetzung für Investitionen, die regulatorische Angleichung an europäische Normen und Praktiken sowie die Liberalisierung des Marktzugangs, um Exportmöglichkeiten zu erhöhen. Auch konnte die Produktvielfalt im Export ins EU-Ausland seit der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens erhöht werden. Risiken sehe sie vor allem in protektionistischen Tendenzen sowohl in der Ukraine als auch in einigen EU-Staaten.
Anton Antonenko, Vize-Präsident der DiXi Group, erläuterte die Fortschritte im Energiemarkt und erklärte die Notwendigkeit für öffentlichen Dialog und Expertentrainings für die erfolgreiche Implementierung und Unumstößlichkeit von Reformen im Wirtschafts- und Energiebereich. Der Integrationsprozess sei kein festgeschriebener, sondern ein dynamischer Weg und die Verortung der EU als Wertegemeinschaft mit geteilten Interessen sollte in der Ukraine noch stärker beworben werden.
Ralf Lowack, Projektleiter des europäischen Büros der ukrainischen Industrie- und Außenhandelskammer, gab einen Einblick in die Handelstrends zwischen der Europäischen Union und der Ukraine in den letzten fünf Jahren. Die EU sei in dieser Periode zum wichtigsten Exportpartner für ukrainische Produkte geworden und mache nun 40% aller Exporte aus. Auch die Struktur der durch die EU importierten Güter habe sich sukzessive positiv von natürlichen Ressourcen zu verarbeiteten Gütern entwickelt.
Ljudmyla Melnyk schloss die Konferenz mit einer kurzen Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse. Ukrainische PolitikerInnen, JournalistInnen und die Zivilbevölkerung haben nun einen realistischeren Blick auf die EU-Ukraine Beziehungen und den langen Weg zu einer möglichen Mitgliedschaft. Gleichzeitig habe sich das Wissen der UkrainerInnen über die EU und Prozesse in der EU verbessert, was zu einem höheren Druck auf die eigene Regierung zur Effizienz geführt habe. Diese Fortschritte gelte es zu unterstützen. Schlüsselbereiche wie der Bildungssektor, open data oder die Reform des Öffentlichen Dienstes bedürfen mehr Zusammenarbeit. Gleichzeitig seien die Kommunikation von Reformen und Förderung von ExpertInnen, Reformen nachhaltig und analytisch fundiert zu gestalten und die Ergebnisse transparent, effektiv und verständlich an die Gesellschaft zu kommunizieren ein weiterer Bereich für eine intensive Zusammenarbeit. Besonders im letzten Punkt liege ein enormes Potenzial sowohl für die Ukraine als auch für die Europäische Union.
Das Programm der Konferenz ist unter dem folgenden Link zu finden. Das von Wilfried Jilge eingebrachte Policy Memo zu den deutsch-ukrainischen Beziehungen kann über diesen Link heruntergeladen werden. Die im Verlauf der Konferenz eingebrachten Präsentationen des zweiten Panels von Anton Yashchenko, Iryna Bekeshkina und Halyna Pastukh, sowie die des dritten Panels von Veronika Movchan, Anton Antonenko und Ralf Lowack sind ebenso online abrufbar.
Ein Überblick über Maßnahmen und Ergebnisse des Projektes PAIC in den Jahren 2017 und 2018 findet Sie im Video:
Die Konferenz fand im Rahmen des Projektes „Platform for Analytics and Intercultural Communication“ (PAIC), welches die Förderung der ukrainischen Think-Tank-Szene und eines nachhaltigen Austausches zwischen deutschen und ukrainischen ExpertInnen und WissenschaftlerInnen vorsieht. Das Projekt wird vom Institut für Europäische Politik e.V. (IEP, Berlin) in Zusammenarbeit mit der International Renaissance Foundation (IRF, Kiew), der Ilko Kucheriv Democratic Initiatives Foundation (DIF, Kiew) und der Denkfabriken-Initiative „think twice UA“ (Kiew) mit Unterstützung des Auswärtigen Amts durchgeführt.
Die Ausrichtung der Konferenz wurde unterstützt durch die Botschaft der Ukraine in der Bundesrepublik Deutschland (Berlin), die Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland (Berlin) und die International Renaissance Foundation (IRF, Kiew).