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IEP-Studiengruppe „Erweiterung/Nachbarschaftspolitik“

Unter Vorsitz von Elmar Brok, MdEP, tagte am 7. April 2008 im Europäi­schen Haus in Berlin die Studi­en­gruppe “Erwei­terung / Nachbar­schafts­po­litik” des Instituts für Europäische Politik zum Thema “Eine neue Archi­tektur der Bezie­hungen zwischen der EU und ihren Nachbarn ” Vorschläge und Modelle”.

Elmar Brok führte in die Diskussion ein und stellte seinen aktuellen Berichts­entwurf für den Auswär­tigen Ausschuss des Europäi­schen Parla­mentes zur Erwei­te­rungs­stra­tegie der EU vor. Er erläu­terte insbe­sondere das Konzept eines Europas konzen­tri­scher Kreise. Er betonte, Erwei­te­rungs- und Nachbar­schafts­po­litik bildeten eine der strate­gi­schen Fragen der Europa­po­litik. Der Leiter des Referats für die EU-Erwei­terung im Auswär­tigen Amt, Gerhard Almer, der Leiter der Vertretung der Europäi­schen Kommission in Deutschland, Dr. Gerhard Sabathil, und die stell­ver­tre­tende Direk­torin des Instituts für Europäische Politik, Dr. Barbara Lippert, gingen in ihren Kurzre­fe­raten auf den gegen­wär­tigen Stand des Erwei­te­rungs­pro­zesses, die Perspek­tiven zukünf­tiger Erwei­te­rungs­runden sowie alter­native Modelle der Stabi­li­sierung und Anbindung von Nachbar­staaten der EU ein.

Mit der von Erwei­te­rungs­kom­missar Rehn im November 2006 heraus­ge­brachten Mitteilung zur Erwei­te­rungs­stra­tegie hat sich die EU selbst eine Konso­li­die­rungs­phase der Erwei­te­rungs­po­litik auferlegt. Das heißt, dass bereits einge­gan­genen Verpflich­tungen gegenüber Kadida­ten­ländern zwar nachge­kommen werden soll; was die Übernahme neuer Verpflich­tungen betrifft, will sich die EU jedoch zurück­halten. Dieser Kurs stieß unter den Teilnehmern weitgehend auf Zustimmung. Zwar habe sich die Erwei­te­rungs­po­litik in der Vergan­genheit als wirksamer Motor zur Trans­for­mation in den Kandi­da­ten­ländern erwiesen, womit die EU einen erheb­lichen Beitrag zur Stabi­li­sierung der Länder Mittel­ost­eu­ropas geleistet habe; eine fortge­setzte Erwei­terung aus bloßen geostra­te­gi­schen Gründen verbiete sich jedoch deshalb, weil eine überdehnte Union sukzessive an Handlungs­fä­higkeit verlöre und so nicht gar nicht in der Lage wäre, als geostra­te­gi­scher Akteur aufzu­treten. Die EU müsse, so hieß es in einem Diskus­si­ons­beitrag, ein “politisch und geogra­fisch begrenztes Projekt” bleiben. Andere betonten jedoch den positiven Zusam­menhang von Handlungs­fä­higkeit und Erwei­terung, der wie in der Vergan­genheit auch in Zukunft gelten könne.

Auch ohne der östlichen und südlichen Nachbar­schafts­region jetzt eine konkrete Beitritts­per­spektive zu bieten, habe die EU jedoch ein erheb­liches Interesse daran, die dortigen Länder an sich zu binden. Der Europäi­schen Nachbar­schafts­po­litik (ENP) in ihrer bestehenden Form wurden zu diesem Zweck jedoch allen­falls begrenzte Erfolge attes­tiert. Die ENP kranke vor allem daran, dass sie kaum Unter­stützer und Freunde finde. So betrieben viele Mitglied­staaten der EU ihre Außen­po­litik gegenüber ihren Nachbarn unter Missachtung der ENP. Zudem gäbe es auch in den Zielländern der ENP zu wenig Stake­holder, die zum Erfolg der Politik beitragen könnten. Verschiedene Alter­na­tiven zur EU-Vollmit­glied­schaft wurden von der Runde erörtert, wie etwa “EWR plus”, “gesamt­eu­ro­päische Aufga­ben­kon­fö­de­ration” oder verschiedene Modelle einer Art “Junior­mit­glied­schaft”, in denen die Partner­länder am “decision shaping”, nicht aber am “decision making” teilhaben können. Auch das bewährte Instrument der Assozi­ie­rungs­ab­kommen könnte in aufge­wer­teter Form (“erwei­terte Assozi­ierung”) stärker zum Einsatz kommen.

Kontrovers wurde von den Diskus­si­ons­teil­nehmern die Frage disku­tiert, ob die Zustän­digkeit für die Erwei­te­rungs- und Nachbar­schafts­po­litik in der gleichen General­di­rektion der Kommission angesiedelt werden sollte. Während die Befür­worter argumen­tierten, dass die Erwei­te­rungs­po­litik nach dem Big Bang der Osterwei­terung in Zukunft nicht mehr so viele adminis­trative Kapazi­täten beanspruchen werde und die immer wichtiger werdende Nachbar­schafts­po­litik ohnehin viele Instru­mente der Erwei­te­rungs­po­litik emuliere ” Erwei­te­rungs- und Nachbar­schafts­po­litik mithin also zwei Aspekte derselben Politik darstellen, zwischen denen es eine Kohärenz zu wahren gelte “, verwiesen die Skeptiker einer solchen Zusam­men­legung darauf, dass es gerade das Ziel der Nachbar­schafts­po­litik sei, bestimmte Länder vorerst aus der Union heraus­zu­halten. Eine Ansiedlung der Nachbar­schafts­po­litik in der für die Erwei­te­rungs­po­litik zustän­digen General­di­rektion sei daher problematisch.

Vielfach wurde auf die Bedeutung von regio­naler Koope­ration in der Nachbar­schafts­region verwiesen. Auf einige Skepsis stieß dabei jedoch die im Frühjahr vom Europäi­schen Rat beschlossene “Union für das Mittelmeer”, vor allem im Hinblick auf deren insti­tu­tio­nelle Ausge­staltung. So werde die Tatsache, dass die Mittel­meer­union über ein eigenes Sekre­tariat und über eine eigene rotie­rende Präsi­dent­schaft verfügen wird, zu einer Konkurrenz mit den bestehenden EU-Insti­tu­tionen führen. Zu erwarten sei, dass der franzö­sische Vorstoß für die Mittel­meer­union auch eine neue Dynamik hinsichtlich der EU-Politik gegenüber den osteu­ro­päi­schen Ländern erzeugen werde. So habe Polen bereits angekündigt, eigene Vorschläge für eine östliche Dimension der gemein­samen Außen­po­litik vorzu­legen. Ebenfalls sei eine Art Schwarz­meer­union als deutsch-polni­sches Projekt denkbar. Zu beobachten sei hier ein Wettlauf zu den Randre­gionen, der bereits unter der deutschen Ratsprä­si­dent­schaft begonnen habe (Schwarz­meer­syn­ergie, Zentral­asi­en­stra­tegie). Fragwürdig sei jedoch der Erfolg all dieser Vorstöße: zu sehr bestünden diese aus losen Einziel­in­itia­tiven ohne strate­gische Unter­füt­terung. Als Positiv­bei­spiel und Modell für das Funktio­nieren multi­la­te­raler Koope­ration nannte ein Diskus­si­ons­teil­nehmer die südost­eu­ro­päische Energiegemeinschaft.

Trotz aller unter­schied­lichen Auffas­sungen über die konkreten Details herrschte bei den Teilnehmern weitge­hende Einigkeit darüber, dass ein Status zwischen der Mitglied­schaft und dem eines jetzigen ENP-Partner­landes nötig sei, um die Staaten der Nachbar­schaft an die Europäische Union zu binden. Andern­falls sähe sich die EU einem immer steigenden Erwei­te­rungs­drucks der (östlichen) Nachbarn ausge­setzt (wie bereits sichtbar am Beispiel der von Polen stark unter­stützten Beitritts­am­bi­tionen der Ukraine). Wie die tatsäch­liche Ausge­staltung einer solchen Anbindung aussehen soll, könne, so der Vorsit­zende Brok in seinem abschlie­ßenden Fazit, beispiels­weise der kürzlich einge­setzte “Rat der Weisen” zur Zukunft der EU eruieren.

von Thomas Schüler
Kontakt:
Dr. Katrin Böttger