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9. Ukraine-Frühstücksgespräch: „Anziehungskraft oder Ablehnung? Bilder der EU im Süden und Osten der Ukraine“

In zahlreichen politi­schen Fragen ist die öffent­liche Meinung in der Ukraine durch regionale Trenn­linien gekenn­zeichnet; die Frage der europäi­schen Integration ist dabei keine Ausnahme. Vor diesem Hinter­grund war es uns ein Anliegen, uns mit dem Thema „Anzie­hungs­kraft oder Ablehnung? Bilder der EU im Süden und Osten der Ukraine“ im Rahmen unseres 9. Ukraine-Frühstücks­ge­sprächs ausein­an­der­zu­setzen. Am 27. November 2018 erläu­terte Dr. Kateryna Zarembo vom Kiewer Think-Tank New Europe Center die Ergeb­nisse ihrer Studien über die öffent­liche Wahrnehmung der EU-Integration in den Städten Odessa, Cherson und Charkiw ein. Anschließend teilte Wilfried Jilge, Associate Fellow am Robert Bosch-Zentrum für Mittel- und Osteuropa, Russland und Zentral­asien bei der Deutschen Gesell­schaft für Auswärtige Politik (DGAP), seine Eindrücke zu dem Thema mit unseren Gästen. Die Relevanz der Frage zeigt sich aktuell vor allem in dem von der ukrai­ni­schen Regierung verhängten und gerade für in den Studien behan­delte Regionen geltendem Kriegs­recht sowie den zuneh­menden Angriffen auf Aktivis­tInnen in der Region.

In Bezug auf den EU-Annähe­rungs­prozess in der Ukraine existieren starke Meinungs­un­ter­schiede in den Regionen der Ukraine, so Zarembo. Diese verhält­nis­mäßig negative Haltung des ukrai­ni­schen Bürge­rInnen Südens und Ostens kann einer­seits durch den Einfluss der schwie­rigen geo- u. sicher­heits­po­li­ti­schen Lage der Ukraine erklärt werden. Der südliche und östliche Teil des Landes zeichnet sich tradi­tionell durch eine relativ starke regionale bzw. stadt­spe­zi­fische Identität aus, die seit 2014 aufgrund der von Russland, der Krim und Trans­nis­trien ausge­henden Sicher­heits­be­dro­hungen mit einer starken „Fronti­den­tität“ verschmolzen sei. Aufgrund dieser identi­täts­bil­denden Faktoren scheinen die Bürge­rInnen der Grenz­ge­biete sowohl in der Frage der EU-Integration, als auch angesichts der bevor­ste­henden Wahlen 2019 unent­schieden zu sein. Diese Unsicherheit oder „das Phänomen der Stille“, wie Zarembo es benennt, sei für die Bürge­rInnen der betref­fenden Regionen sowie für Binnen­flücht­linge immer charak­te­ris­ti­scher geworden. Diese skeptische Neutra­lität wurde durch die negative öffent­liche Wahrnehmung der Regie­rungs­arbeit in Kiew, die laut Zarembo häufig mit der Europäi­schen Union assoziiert werde, verstärkt. Wie aus einigen EU-Mitglied­staaten bekannt, werden die von EU-Agenturen geför­derten oder gar vollständig aus EU-Geldern umgesetzten, lokalen Erfolgs­pro­jekte von den Einwoh­ne­rInnen der Region selten wahrge­nommen und von lokalen Eliten beansprucht. Eine mangel­hafte Kommu­ni­kation über die Europäische Union, die Reform­erfolge aufgrund des Assozi­ie­rungs­ab­kommens und der europäi­schen Werte & Prinzipien im Allge­meinen stellen den Kern des Problems dar, so Zarembo.

Für Wilfried Jilge (DGAP) gehören Korruption auf lokaler Ebene, eine fehlende Straf­ver­folgung sowie die Missachtung der Rechts­staat­lichkeit zu den Haupt­fak­toren, welche maßgeblich den Europäi­sie­rungs­prozess hindern und so auch das Bild der EU in den Regionen verzerren. In Anbetracht dieser Beobach­tungen erscheinen die Bedin­gungen für den Erfolg des Dezen­tra­li­sie­rungs­pro­jekts äußerst komplex. Die wichtigsten und gleich­zeitig heraus­for­derndsten Aufgaben der EU-Behörden wurden anschließend deutlich: Erstens sollte ein umfas­sendes, ortsbe­zo­genes Kommu­ni­ka­ti­ons­in­strument imple­men­tiert werden, um die Bevöl­kerung über die Poten­ziale und Erfolge des EU-Integra­ti­ons­pro­zesses zu infor­mieren. Zweitens sollte dem spezi­fi­schen Monitoring der Korrup­ti­ons­be­kämp­fungs­maß­nahmen auch langfristig Vorrang einge­räumt werden.

Die im Rahmen des Projekts „Platform for Analytics and Inter­cul­tural Commu­ni­cation“ (PAIC) statt­fin­denden Frühstücks­ge­spräche sind konzi­piert als Ukraine-Fachge­spräch, bei dem Exper­tInnen und Vertre­te­rInnen ukrai­ni­scher Think-Tanks Vorträge über eine aktuelle Thematik halten, die anschließend detail­liert mit den Gästen bei Crois­sants und Kaffee disku­tiert wird. Das Projekt PAIC sieht die Förderung der ukrai­ni­schen Think-Tank-Szene und den Austausch zwischen deutschen und ukrai­ni­schen Forschungs­in­sti­tu­tionen vor. Das Projekt wird vom Institut für Europäische Politik e.V. (IEP, Berlin) in Zusam­men­arbeit mit der Ilko Kucheriv Democratic Initia­tives Foundation (DIF, Kiew) und der Denkfa­briken-Initiative „think twice UA“ (Kiew) mit Unter­stützung des Auswär­tigen Amts durchgeführt.


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