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10. Ukraine-Frühstücksgespräch: “Konfrontation im Asowschen Meer”

Am 25. November 2018 griffen russische Militär­schiffe drei ukrai­nische Boote an, welche auf dem Weg zum Hafen von Mariupol die Meerenge von Kertsch passieren wollten. Damit ist das Asowsche Meer zum ersten Mal in den Fokus der inter­na­tio­nalen Medien und der Öffent­lichkeit gerückt. Aufgrund dieses hohen Inter­esses widmeten wir unser 10. PAIC-Ukraine-Frühstücks­ge­spräch dem Thema „Konfron­tation im Asowschen Meer: Mögliche Konse­quenzen für die politische Zukunft und Sicher­heitslage der Ukraine“. Unser Gastredner Petro Burkovskyi, Sicher­heits­experte bei der Ilko Kucheriv Democratic Initia­tives Foundation (DIF, Kiew) und Leiter des Center for Advanced Russian Studies am National Institute for Strategic Studies (NISS, Kiew), beleuchtete die jüngsten Entwick­lungen im Asowschen Meer sowie ihre innen- und sicher­heits­po­li­ti­schen Auswir­kungen auf die kommenden Monate. Der Präsen­tation folgte eine Einschätzung von Dr. Susan Stewart, Senior Associate der Stiftung für Inter­na­tionale Politik und Sicherheit (SWP, Berlin), die das Thema aus europäi­scher Perspektive evaluierte.

Der Zwischenfall in der Straße von Kertsch sei nur das jüngste Ereignis in einer Reihe von Angriffen im Asowschen Meer, bemerkte Petro Burkovskyi. Die aktuellen Entwick­lungen seien daher aus einer breiteren, strate­gi­schen Perspektive des russisch-ukrai­ni­schen Konflikts zu bewerten. Der Konflikt stellt für beide Länder eine existen­zielle Heraus­for­derung dar, wobei die Ukraine sich eindeutig in der schwä­cheren Position befinde. Vor dem Hinter­grund dieses anhal­tenden Konflikts mit der jüngsten Eskalation in der Meerenge von Kertsch sei die ukrai­nische Öffent­lichkeit dem russi­schen Einfluss zunehmend skeptisch gegenüber einge­stellt. Dieser Meinungs­trend hat insbe­sondere im Hinblick auf die bevor­ste­henden Präsi­dent­schafts­wahlen in der Ukraine einen neuen Impuls für politische Akteure geschaffen, schärfere sicher­heits­po­li­tische Maßnahmen zu ergreifen. Gestützt auf diese Dynamik wurde die Einführung des Kriegs­rechts in seiner jetzigen Form von der breiten Öffent­lichkeit mit relativer Zuver­sicht und Unter­stützung getroffen[1]. Laut kürzlich durch­ge­führter Meinungs­um­fragen gaben jedoch weniger als die Hälfte der befragten Ukrai­ne­rInnen an, dass die Einschränkung von Grund- oder Menschen­rechten durch das Militär mit Sicher­heits­gründen gerecht­fertigt werden könnten. Je näher die Befragten an der Konfliktzone lebten, desto höher sei die Bereit­schaft, recht­liche Einschrän­kungen zu akzep­tieren, zeigen die Umfragen. Burkovskyi betonte jedoch, die politische Dimension der Kriegs­recht­ver­hängung solle nicht überschätzt werden, da die politi­schen Kosten eines Missbrauchs durch die politi­schen Eliten ohne öffent­liche Billigung zu hoch seien.

Dr. Susan Stewart äußerte Bedenken über diese Einschätzung. Die politische Instru­men­ta­li­sierung des Kriegs­rechts und dessen Auswir­kungen, insbe­sondere im Hinblick auf die Präsi­dent­schafts­wahlen von 2019, sollten nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Sie betonte, Präsident Poroschenko habe bereits eindeutig versucht, den Wahlkampf durch die Konflikt­the­matik zu beein­flussen. Das hatte sich insbe­sondere in seiner vorge­schla­genen Version des Kriegs­ge­setzes heraus­kris­tal­li­siert, die auch seiner Wahlkam­pagne unter dem Slogan „Armee! Sprache! Glaube!“ zugutekäme. Darüber hinaus betrachtet Stewart den Vorfall in der Straße von Kertsch weniger als lediglich ein Glied in einer Kette von Vorfällen, sondern als Wende­punkt des gesamten Konflikts, da Russland zum ersten Mal seine direkte militä­rische Betei­ligung im Konflikt offen zeigte. Die europäische Reaktion sei dennoch eher zurück­haltend ausge­fallen, so Stewart. Trotz der vielerorts artiku­lierten Besorgnis über die jüngsten Entwick­lungen in der Ukraine sowie der Forderung der Europäi­schen Union nach der Wieder­her­stellung der terri­to­rialen Integrität und Souve­rä­nität des Landes bestehe wenig Aussicht auf weitere EU-Sanktionen gegen Russland. Erschwert wird diese Haltung durch laufende inner­eu­ro­päische und innen­po­li­tische Konflikte in den einzelnen Mitglied­staaten, wie den bevor­ste­henden Brexit oder die jüngsten Unruhen in Frankreich.

Nun freuen wir uns auf weitere aufschluss­reiche und spannende Ukraine-Frühstücks­ge­spräche im Jahr 2019 und möchten uns auch auf diesem Wege bei unseren Gästen und Partner­or­ga­ni­sa­tionen, der Ilko Kucheriv Democratic Initia­tives Foundation (DIF, Kiew) und der Think-Tank-Initiative „think twice UA“ (Kiew) für ihre aktive Teilnahme, sowie dem Auswär­tigen Amt für ihre Unter­stützung bedanken. Die Ukraine-Frühstücks­ge­spräche finden im Rahmen des Projekts “Platform for Analytics and Inter­cul­tural Commu­ni­cation” (PAIC) statt, mit dem Ziel, die ukrai­nische Think-Tank-Landschaft zu unter­stützen, einen umfang­reichen Wissens­transfer über politische Prozesse in der Ukraine nach Deutschland zu ermög­lichen und die Zusam­men­arbeit zwischen deutschen und ukrai­ni­schen Denkfa­briken zu fördern.

[1] Eine öffent­liche Meinungs­um­frage zum Thema wird derzeit von der DIF durch­ge­führt deren konkrete Ergeb­nisse in den kommenden Wochen erwartet werden.


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