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Mittagsgespräch mit Karl-Heinz Lambertz am 24. März 2010: “Die Grenzregionen als Labor und Motor kontinentaler Entwicklungen in Europa”

Europa ist durch eine Vielzahl von Grenzen gekenn­zeichnet und kann nur durch eine intensive Zusam­men­arbeit in den Grenz­re­gionen ein starkes Europa bleiben. Deshalb gewinnen Regionen in Europa weiter an Bedeutung, erklärte Lambertz, Minis­ter­prä­sident der Deutsch­spra­chigen Gemein­schaft Belgiens. Dieser Bedeutung müsse sich Europa angesichts der globalen Heraus­for­de­rungen bewusst werden. Grenzen seien die Schweiß­nähte der Gemein­schaft und bedürfen einer angemes­senen Wertschätzung, denn eine Gemein­schaft sei nur so stark wie ihre schwächste Naht, stellte Lambertz fest. Er betonte, dass grenz­über­schrei­tende Zusam­men­arbeit kompli­ziert und inter­kul­tu­relle Kommu­ni­ka­ti­ons­kom­petenz von entschei­dender Bedeutung sei. Zu diesen Kompe­tenzen zählen vor allem Sprach­kennt­nisse, Verständnis für Menta­lität und Kultur und Kenntnis der Verwaltungsstrukturen.

Einleitend hob Matthias Petschke, der Leiter der Vertretung der Europäi­schen Kommission in der Bundes­re­publik Deutschland, hervor, dass sich die Bedeutung der Regionen durch den Vertrag von Lissabon nochmals verstärkt habe. So sei im Vertrag festge­halten, dass der wirtschaft­liche und soziale Zusam­menhalt gestärkt werden soll, sich das Subsi­dia­ri­täts­prinzip auf lokale und regionale Ebene beziehe und die EU-Ausgaben gegenüber dem Zeitraum 2000–2006 nahezu verdoppelt worden seien. Zudem sei in der grenz­über­schrei­tenden Zusam­men­arbeit ein Mehrwert für Europa erkennbar. Die Euregio Maas-Rhein führte Petschke als ein positives Beispiel für Europäische Integration und wirtschaft­liche Zusam­men­arbeit an. Auch für die Wachs­tums­stra­tegie „Europa 2020“ seien die Regionen von Bedeutung, denn für Bereiche wie Energie und Transport könnten keine Landes­grenzen beachtet werden.

Zu Beginn seines Vortrags stellte Lambertz fest, dass Europa die Menschen nicht mehr so begeistere wie in der Vergan­genheit; dies sei an der Wahlbe­tei­ligung bei der letzten Europawahl zu sehen. Er stellte die Frage, ob die Grenz­re­gionen Europa einen neuen Anstoß geben könnten. Dieser könne aber nur dann zustande kommen, wenn man sich der Tatsache bewusst sei, dass eine enge Zusam­men­arbeit unumgänglich sei. Ein starkes Europa könne es nur durch Zusam­men­arbeit geben. Gerade in Zeiten zuneh­mender Globa­li­sierung seien Regionen von Bedeu­tungs­zu­wachs gekennzeichnet.

Ein wichtiger Schritt um den trennenden Charakter von Grenzen aufzu­heben und den Übergang zu virtu­ellen Grenzen zu beschreiten sei bereits mit dem europäi­schen Binnen­markt gemacht worden. Da in Europa eine große Anzahl von Grenzen existiere, müssten diese in ihrer Bedeutung erfasst werden. Dabei gehe es nicht um ein Europa ohne Grenzen, sondern um einen intel­li­genten Umgang mit den Grenzen. Jede grenz­über­schrei­tende Zusam­men­arbeit unter­liege unter­schied­lichen Kriterien wie Größe, Komple­xität (Sprache, Kultur, Verwaltung) und Art der Grenze (natür­liche bzw. politische Hindernisse).

Lambertz, der seit Februar 2010 auch Präsident der Arbeits­ge­mein­schaft Europäi­scher Grenz­re­gionen (AGEG) ist, unter­schied zudem alte EU Binnen­grenzen, an denen die Euregio Maas-Rhein ein wichtiger Test war, von den neuen Binnen­grenzen nach den Erwei­te­rungen 2004 und 2007, deren Entwicklung Vorbild­cha­rakter für Europa habe. Hinzu kämen die neuen Außen­grenzen der EU, deren Proble­matik von entschei­dender Bedeutung für die Zukunft der EU seien. Auch Grenzen außerhalb der EU, wie zwischen Russland, Belarus und der Ukraine, würden eine Rolle für die EU spielen. In all diesen Grenz­re­gionen finden politische Entwick­lungen statt und hätten deshalb eine unmit­telbare Labor- und Motor­funktion für Europa. Der verstärkte Fokus auf Regionen, befand Lambertz, spiegle sich auch in der gestiegen Bedeutung wider, die der Ausschuss der Regionen in jüngster Vergan­genheit erfahren habe.

Die Vielfalt in Europa sei eine Trumpf­karte, die aber nur ausge­spielt werden könne, wenn man sich in den Nachbarn hinein­denkt; dies sei aber nicht immer einfach. Inter­kul­tu­relle Kommu­ni­ka­ti­ons­kom­petenz und das Erarbeiten von Vertrauen in kleinen Schritten seien dabei entschei­dende Faktoren um aus dieser Vielfalt einen Mehrwert für Europa ziehen zu können.