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IEP-Mittagsgespräch mit Generaldirektor Matthias Ruete, DG HOME

Am 26. September 2017 fand das IEP-Mittags­ge­spräch mit Matthias Ruete, General­di­rektor für Migration und Inneres der Europäi­schen Kommission, im Europäi­schen Haus in Berlin zum Thema „Die Zukunft der europäi­schen Asyl- und Migra­ti­ons­ar­chi­tektur“ statt. Zu Beginn der Veran­staltung begrüßte Richard Kühnel, Vertreter der Europäi­schen Kommission in Deutschland, den Redner sowie die Gäste. Moderiert wurde die Veran­staltung von Prof. Dr. Mathias Jopp, Direktor des Instituts für Europäische Politik (IEP).

Zu Beginn seiner Einführung unter­strich Gastgeber Richard Kühnel die Aktua­lität und Brisanz der Diskussion zur Zukunft der europäi­schen Asyl- und Migra­ti­ons­ar­chi­tektur. Die Europäische Union habe in den letzten zwei Jahren, seit Beginn der Migra­tions- und Flücht­lings­krise, bereits viele wichtige Maßnahmen initiiert, um die Krise zu überwinden und zuver­sichtlich in die Zukunft zu blicken. Dennoch betonte Richard Kühnel erneut den europäi­schen Leitge­danken, dass Europa ein Kontinent der Solida­rität ist und bleibt und nur eine gesamt­eu­ro­päische Solida­rität die Bewäl­tigung der Krise ermögliche.

Zu Beginn seines Vortrages betonte General­di­rektor Matthias Ruete, dass sich die Europäische Union und Deutschland in schwie­rigen Zeiten befänden. Die EU sei in den letzten Jahren durch die zuneh­menden Flücht­lings­ströme stark getestet worden. Dennoch erinnerte er auch an die Vielzahl anderer europäi­scher Baustellen, die nur durch ein vereintes und zukunfts­fä­higes Europa repariert werden könnten. Ein erfolg­reiches und vor allem  zukunfts­fä­higes Europa könne nur dann bestehen, wenn andere Themen, wie die Digita­li­sierung oder der Energie­sektor, trotz des hohen politi­schen Stellen­wertes der Migration nicht vernach­lässigt werden würden. Er verwies ebenfalls auf die Komple­xität der Migration, die zusätzlich eine vertiefte Ausein­an­der­setzung mit der europäi­schen Sicher­heits­po­litik und dem Schen­genraum erfordere.

Zudem blickte Herr Ruete auf die Anfänge und den Verlauf der Migra­ti­ons­krise zurück und verdeut­lichte, dass es nach dem Beginn der Krise (2015) zur Trans­for­mation und Neuaus­richtung der europäi­schen Migra­ti­ons­po­litik durch Maßnahmen wie dem 10 Punkte-Plan der EU-Kommission, der Errichtung von Hotspots an den europäi­schen Außen­grenzen und einer einheit­lichen EU-Migra­ti­ons­agenda kam. Als wichtigster Punkt in der Bewäl­tigung der Migra­ti­ons­krise sei die engere Zusam­men­arbeit innerhalb der Union zu nennen, welche sich anhand der fünf Schlag­worte „protect, protect, reject, attract, integrate“ veran­schau­lichen lasse.

Das erste „protect“ reprä­sen­tiere das europäische Verständnis für eine gemeinsame Verant­wortung zur Kontrolle und Schutz der europäi­schen Außen­grenzen. Das sei in den Migra­ti­ons­de­batten vor allem von den osteu­ro­päi­schen Partnern gefordert worden. Um den Schutz der europäi­schen Außen­grenzen zu gewähr­leisten hat die Europäische Union eine Vielzahl an neuen Maßnahmen geschaffen, hierbei hob er die vor knapp einem Jahr errichtete Europäische Agentur für die Grenz- und Küsten­wache hervor sowie dessen neues Instrument der Schwach­stel­len­analyse. Herr Ruete wies darauf hin, dass für Mitglied­staaten, die das Angebot, zusätz­liche Kapazi­täten für den Schutz der EU-Außen­grenzen verweigern, Grenz­kon­trollen als Sanktionen wieder einge­führt werden könnten.

Das zweite „protect“ stehe für den Flücht­lings­schutz. Dessen Umsetzung solle durch den Aufbau einer europäi­schen Asylagentur verein­facht werden. Zusätzlich werde eine Reform der Dublin-Verordnung angestrebt. Herr Ruete forderte zudem, dass Italien und Griechenland gegenüber mehr Anerkennung zukommen sollte, da diese Länder eine große Verant­wortung auf Grund ihrer geogra­fi­schen Lage an den Außen­grenzen Europas tragen.

Der dritte Begriff „reject“ konkre­ti­siere die effizi­entere Umsetzung von Rückfüh­rungs­ver­fahren. Während seiner Erläu­terung prognos­ti­zierte Herr Ruete, dass im kommenden Jahr ca. 1,5 Millionen abgelehnte Asylbe­werber gezielt zurück­ge­führt werden müssten. Diese Umsetzung sei für die Zukunft und die Aufrecht­erhaltung einer gemein­schaft­lichen EU-Migra­ti­ons­po­litik sehr wichtig.

Der vierte Begriff „attract“ stehe für die Notwen­digkeit, mehr legale Migra­ti­onswege nach Europa für Schutz­be­dürftige zu schaffen und darüber hinaus hochqua­li­fi­zierten Dritt­staats­an­ge­hö­rigen den Aufenthalt in der EU zu ermög­lichen. In diesem Zusam­menhang bestärkte er das Nachdenken über ein europäi­sches Einwan­de­rungs­gesetz, um den europäi­schen „Flicken­teppich“ innerhalb der diver­gie­renden natio­nalen Gesetze zu vereinen.

Eine der größten Heraus­for­de­rungen der Migra­ti­ons­krise sei weiterhin die Integration der Schutz­su­chenden, welcher durch den fünften Begriff „integrate“ beschrieben werde. Für eine erfolg­reiche Integration werde auch zukünftig die Koope­ration mit Gewerk­schaften und Unter­nehmen wichtig sein. Zudem müsse eine weitrei­chende Integra­ti­ons­in­itiative auf den natio­nalen Ebenen mit Hilfe finan­zi­eller Unter­stützung und Vernetzung durch die EU stattfinden.

In der anschlie­ßenden Diskussion wurden verschiedene Frage­stel­lungen zur europäi­schen Asyl- und Migra­ti­ons­ar­chi­tektur thema­ti­siert. Herr Ruete bestä­tigte die Möglichkeit,  die Mitglied­staaten, welche sich proaktiv am Integra­ti­ons­prozess betei­ligten, finan­ziell zu unter­stützen. Er sprach sich ebenfalls für diffe­ren­zierte Sanktionen oder Kompen­sa­ti­ons­me­cha­nismen als Antwort auf eine Verwei­gerung einzelner EU-Staaten aus. Abschließend unter­strich er die Dring­lichkeit zur Führung von Verhand­lungen mit Dritt­staaten sowohl in Bezug auf jeweilige Rücknahme-Abkommen, als auch als Antwort auf die Situation in Flüchtlingsunterkünften.

Das Institut für Europäische Politik bedankt sich bei Richard Kühnel für seine einfüh­renden Worte, bei Matthias Ruete für seinen ausführ­lichen Vortrag zur Zukunft der EU Asyl- und Migra­ti­ons­ar­chi­tektur sowie bei allen Gästen für ein spannendes Mittagsgespräch.

Autoren: Paul Leon Wagner, Lea Michel


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