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IEP-Mittagsgespräch mit Sir Peter Torry am 2. November 2005: “Nach dem Europäischen Gipfel: Zwischenbilanz der britischen Ratspräsidentschaft ”

Der britische Botschafter Sir Peter Torry betonte im Jean-Monnet-Haus zunächst, dass die wahre Krise der Europäi­schen Union nicht insti­tu­tio­neller oder finan­zi­eller Art sei, sondern dass man vielmehr von einer Jobkrise reden müsse. Die hohe Arbeits­lo­sigkeit in einzelnen Mitglied­staaten sei das zentrale Problem, das gelöst werden müsse, um sich dem globalen Wettbewerb stellen zu können. Die EU könne darüber hinaus nur dann politisch erfolg­reich sein, wenn ihre wirtschaft­liche Basis bewahrt bzw. ausgebaut werde. Auf diese Weise könne auch die Glaub­wür­digkeit der Bürger zurück­ge­wonnen werden.
Bezüglich des Gipfels von Hampton Court erläu­terte Botschafter Torry sechs Arbeits­be­reiche, auf die sich die Regie­rungs­chefs der Mitglieds­staaten geeinigt haben und die es zukünftig weiter zu entwi­ckeln gelte. An erster Stelle nannte er den Bereich der Forschung. So müssten insbe­sondere die Einrichtung eines europäi­schen Forschungs­rates angestrebt und Wege zu einem stärkeren Engagement der Privat­wirt­schaft im Forschungs­sektor gefunden werden. Eng damit zusammen hängt der zweite Punkt: Der Ausbau der Univer­si­täten zu starken Leistungs­zentren. Drittens gelte es Antworten auf die demogra­phische Entwicklung zu finden. Der vierte Schwer­punkt konkreter Maßnahmen sei im Bereich der Energie­po­litik zu sehen, wobei neben einer Deregu­lierung vor allem auch eine Diver­si­fi­zierung der Energie­träger anzustreben sei, um langfristig Bürger und Wirtschaft zu „bezahl­baren Kondi­tionen“ mit Energie versorgen zu können. Ebenfalls ein wichtiger Punkt für die Erhöhung der Akzeptanz der EU bei den Bürgern stelle der fünfte Aspekt dar, der Bereich der Sicherheit und Immigration. Wichtig sei hierbei jedoch, dass neben dem Schutz vor illegaler Einwan­derung auch die Chancen gesehen werden, die eine legale Zuwan­derung für die europäi­schen Volks­wirt­schaften mit sich bringt. Sechstens gelte es schließlich, die Rolle Europas in der Welt sicht­barer zu machen, wozu eine Reform und Effek­ti­vierung der ESVP und GASP anzustreben sei. Durch dieses Maßnah­men­bündel, so Torry, ließe sich dem Bürger der Mehrwert Europas deutlich vor Augen führen, was der erste und wichtigste Schritt zur Überwindung der derzei­tigen Akzep­tanz­krise wäre.
Diese Priori­täten führen nach Einschätzung des Botschafters auch dazu, eine Einigung über den Finanz­rahmen 2007–2013 zu erleichtern. Der Fokus müsse auf Inves­ti­tionen in die Zukunft liegen, nicht in hohen Subven­tionen für die Agrar­po­litik, die zu enormen Verzer­rungen in der Ausga­ben­struktur der EU führen. Wenn diese Anomalie korri­giert sein wird, so Torry, sei Großbri­tannien auch bereit über den Beitrags­rabatt zu verhandeln.
Abschließend lieferte Botschafter Torry einen breiten Überblick über den Stand der Dinge in verschie­densten Fragen wie der Eröffnung der Beitritts­ver­hand­lungen mit Kroatien und der Türkei, Entwick­lungen im Klima­schutz, den Verhand­lungen zur Dienst­leis­tungs­richt­linie und den EU-Positionen zu den anste­henden WTO-Verhand­lungen. Für ein abschlie­ßendes Fazit der briti­schen Ratsprä­si­dent­schaft sei es aber noch viel zu früh, denn abgerechnet werde gerade bei den durch die Sommer­pause stark verzö­gerten Ratsprä­si­dent­schaften der zweiten Jahres­hälfte erst zum Schluss.

Dr. Daniel Göler ist Mitar­beiter in dem von der ASKO EUROPA-STIFTUNG und dem IEP durch­ge­führten Projekt: Ein Europa der Bürger – Verfassung und effiziente Politik. Timo Goosmann ist wissen­schaft­licher Mitar­beiter am IEP.

Weiter­füh­rende Links:
ASKO Verfassungsprojekt
IEP Policy Briefs
integration 04/2005

[Die Veran­staltung wurde im Rahmen des „Dialog Europa“ der Otto-Wolff-Stiftung und in Zusam­men­arbeit mit dem Centre Inter­na­tional de Formation Européenne durchgeführt.]