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IEP-Mittagsgespräch mit Samuel Žbogar am 20. Februar 2009: “Die Erweiterungspolitik der Europäischen Union auf dem Westbalkan aus slowenischer Sicht”

Die slowe­nisch-kroati­schen Grenz­strei­tig­keiten überlagern zurzeit die Bemühungen der Europäi­schen Union, Kroatien als Mitglied­staat aufzu­nehmen. Slowenien hat die Lösung des Konflikts zur Bedingung für die Eröffnung weiterer Kapitel in den Beitritts­ver­hand­lungen mit dem Nachbarland gemacht. Jüngst hat sich auch die Europäische Kommission in den Konflikt einge­schaltet: Der für Erwei­terung zuständige Kommissar Oli Rehn hat sich deshalb bereits für die Einrichtung einer EU-Vermitt­lungs­gruppe unter Leitung des Friedens­no­bel­preis­trägers Martti Ahtisaari eingesetzt.

Unter diesen schwie­rigen Vorzeichen widmete sich der slowe­nische Außen­mi­nister Samuel Žbogar in einem einlei­tenden Vortrag der Erwei­te­rungs­po­litik der EU auf dem Westbalkan und beleuchtete Vorzüge und Schwach­stellen der aktuellen europäi­schen Politik gegenüber dem westlichen Balkan.

Die Erwei­terung um die Staaten des westlichen Balkan liege im vitalen Interesse der EU, urteilte der slowe­nische Außen­mi­nister Samuel Žbogar zu Beginn seines Vortrages. Die histo­rische Erfahrung zeige, dass Erwei­te­rungen eine win-win Situation für die Union und die Kandi­da­ten­länder darstellen. Auf Seiten der EU diene sie der Verwirk­li­chung ihrer zentralen Zielsetzung, der Gewähr­leistung von Frieden und Wohlstand. Für die Kandi­da­ten­länder stelle die Beitritts­per­spektive einen wichtigen Reform­motor dar, den es durch Konti­nuität in der Erwei­te­rungs­po­litik seitens der EU zu unter­stützen gelte. Im Falle einer Unter­bre­chung der Erwei­te­rungs­ver­hand­lungen bestünde die Gefahr, dass der Reform­prozess in den (poten­ti­ellen) Kandi­da­ten­ländern stagniere, was eine Desta­bi­li­sierung der Region zur Folge haben könnte.

In einem zweiten Schritt kam der slowe­nische Außen­mi­nister auf das Spannungs­ver­hältnis zu sprechen, in dem sich die Erwei­te­rungs­po­litik derzeit befindet. Einer­seits sei der Balkan die Schwach­stelle der europäi­schen Sicher­heits­ar­chi­tektur und bedürfe einer konti­nu­ier­lichen Unter­stützung seitens der EU. Die Koope­ration und der Dialog mit den Westbal­kan­staaten müsse hierzu auf allen Ebenen inten­si­viert und dynami­siert werden. Hierbei bedürften insbe­sondere Bosnien und Herze­gowina sowie das Kosovo verstärkter Aufmerk­samkeit, da sie aktuell die größte sicher­heits­po­li­tische Schwach­stelle auf dem Westbalkan darstellen würden.

Anderer­seits befände sich die Erwei­te­rungs­po­litik jedoch in einer Legiti­mi­täts­krise. In diesem Zusam­menhang werde vermehrt die Aussetzung der Erwei­terung gefordert, bis die Vertrags­reform der Union abgeschlossen und die gegen­wärtige Wirtschafts- und Finanz­krise bewältigt sei. Aus slowe­ni­scher Sicht sei diese Position durchaus verständlich und nachvoll­ziehbar. Jedoch erinnerte Žbogar daran, dass alle bishe­rigen Erwei­te­rungs­runden von Schwie­rig­keiten begleitet gewesen seien, letztlich aber keine neuen Probleme geschaffen, sondern beiden Seiten, alten wie neuen Mitglied­staaten, Vorteile gebracht hätten. Der Erwei­te­rungs­prozess müsse deshalb so gestaltet werden, dass die Bürger die daraus entste­henden Vorteile auch wahrnehmen. Die allge­meine Erwei­te­rungs­mü­digkeit und die mit dem schwie­rigen Ringen um eine Vertrags­reform einher­ge­hende Diskussion über die Absorp­ti­ons­fä­higkeit der Union dürften die EU-Erwei­te­rungs­po­litik nicht überschatten.

In diesem Sinne betonte der slowe­nische Außen­mi­nister, dass gerade jetzt ein neuer Impuls im Erwei­te­rungs­prozess und weitere Unter­stützung von Seiten der Europäi­schen Union notwendig seien, damit die Reform­be­mü­hungen in den Staaten des westlichen Balkan nicht erlahmten. So seien die Aspiranten noch mit einer Vielzahl von Problemen konfron­tiert. Žbogar nannte als größte Heraus­for­de­rungen die hohe Arbeits­lo­sigkeit einher­gehend mit einer Abwan­derung Hochqua­li­fi­zierter, die Bekämpfung von Korruption, die Schaffung von Inves­ti­ti­ons­si­cherheit, der Schutz von Minder­heiten sowie eine Verbes­serung des Rechtssystems.

Nach dieser Problem­analyse skizzierte der Außen­mi­nister aus slowe­ni­scher Sicht sinnvolle Schritte für das weitere Vorgehen der EU. Ziel müsse es sein, den Reform­prozess zu beschleu­nigen. Eine Schlüs­sel­rolle spiele dabei die Stärkung der regio­nalen Integration der Staaten des Westbalkans. Gleichzeit müsse aber auch die Annäherung an die Union voran­ge­trieben werden. Hier verwies Žbogar auf die Visali­be­ra­li­sierung, den Zugang zum tertiären Bildungs­sektor in der EU und die Inten­si­vierung wirtschaft­licher Koope­ration als Instru­mente der Annäherung. Die regionale Koope­ration und die bilaterale Unter­stützung der Staaten durch die EU betrachtete Žbogar nicht als wider­sprüch­liche, sondern komple­mentäre Ansätze. Letztlich müsse die Union jedoch entspre­chend der indivi­du­ellen Fortschritte einzelner Staaten klare Ziele im Erwei­te­rungs­prozess definieren.

In der anschlie­ßenden Diskussion, die vom stell­ver­tre­tenden Vorstand des IEP, Prof. Marhold, moderiert wurde, zeigte sich der Außen­mi­nister auf die Frage hin, ob ein Beitritt Kroatiens auch auf Basis des Vertrages von Nizza möglich sei, optimis­tisch, dass der Vertrag von Lissabon bis zum Ende des Jahres von allen Mitglied­staaten ratifi­ziert werde. Sollte dies jedoch wider Erwarten nicht möglich sein, so böte der Vertrag von Nizza noch ausrei­chend Spielraum für die Aufnahme eines weiteren Mitgliedes. Auch verwies Žbogar darauf, dass es in Brüsseler Kreisen umstritten sei, ob eine Verknüpfung des kroati­schen Beitritts­ver­trages mit den Passagen zu Irland des letzten Europäi­schen Rates, die die gegenüber der irischen Regierung gemachten Zugeständ­nisse enthalten, zulässig und sinnvoll sei.

Angesprochen auf die Auswir­kungen der Wirtschafts- und Finanz­krise auf den Erwei­te­rungs­prozess, wies Žbogar darauf hin, dass die Staaten des Westbalkans noch nicht so stark wie andere europäische Staaten von den Auswir­kungen der Krise betroffen seien. Dies erschwere den gezielten Einsatz gemein­samer Maßnahmen, die nichts­des­to­trotz notwendig seien. Ob diese Entwicklung das Reform­tempo abbremse, müsse die Zeit zeigen. Eigentlich sei dies jedoch genau der Augen­blick, in dem es das Reform­tempo zu erhöhen gelte. In der Krise sei die Erwei­terung auch eine Chance. So sei von den vergan­genen Erwei­te­rungs­runden für die EU ein doppelter Mehrwert ausge­gangen: Nicht nur hätten alle Mitglied­staaten wirtschaftlich profi­tiert, sondern auch das Selbst­be­wusstsein der Europäi­schen Union auf dem inter­na­tio­nalen Parkett sei gestärkt worden.

Bei der Lösung der Grenz­fragen zwischen Slowenien und Kroatien dürfe es, so der Außen­mi­nister, nicht um kurzfristige Gewinne auf Kosten langfris­tiger Lösungen gehen. Grund für das Veto Slowe­niens sei keine grund­sätz­liche Ablehnung des kroati­schen Beitritts. Slowenien habe lediglich gegen die Fortsetzung der Beitritts­ver­hand­lungen gestimmt, da während der Verhand­lungen Landkarten mit den strit­tigen Grenz­ab­schnitten enthalten. Der Vorschlag der Europäi­schen Kommission einer Vermitt­lungs­gruppe sei aus slowe­ni­scher Sicht der einzig richtige Weg. Er rechne bis zum Ende des Jahres 2009 mit einem Abschluss der Beitrittsverhandlungen.

Auf die Frage hin, ob Slowenien als Modell für die aktuellen Kandi­da­ten­länder gelten könne und welche Empfeh­lungen er diesen Ländern mit Blick auf einen erfolg­reichen und zügigen Abschluss der Beitritts­ver­hand­lungen geben könne, meinte der slowe­nische Außen­mi­nister, der wesent­liche Punkt liege darin, das Endziel des Beitritts nie aus dem Blick zu verlieren und alle anderen Politiken an diesem Prozess auszu­richten. Slowenien werde versuchen, trotz des Grenz­streits mit Kroatien die Inter­essen des Westbalkans in der EU zu vertreten und als Sprachrohr der Region innerhalb der Union zu fungieren. Letztlich könne die EU-Erwei­te­rungs­po­litik aber nur erfolg­reich sein, wenn sie von allen 27 Mitglied­staaten getragen werde.