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IEP-Mittagsgespräch mit Prof. Dr. hab. Danuta Hübner am 20. Februar 2003: “The Future of the European Union — The Polish Point of View”

Am 20. Februar 2003 fand im Jean-Monnet-Haus das IEP-Mittags­ge­spräch mit Prof. Dr. hab. Danuta Hübner, Staats­se­kre­tärin im Außen­mi­nis­terium der Republik Polen Sekretär des Komitees für Europäische Integration Mitglied des Europäi­schen Konvents, statt.

Im Rahmen eines Mittags­ge­sprächs des Instituts für Europäische Politik bewertete Prof. Dr. Danuta Hübner, Staats­se­kre­tärin im polni­schen Außen­mi­nis­terium und zugleich Mitglied im Konvent, die Debatte über die Zukunft Europas aus einem polni­schen Blick­winkel. Sie sprach sich für ein starkes Europa aus, welches neben den insti­tu­tio­nellen Mecha­nismen zu Konflikt­re­gelung und Inter­es­sen­aus­gleich auf einem umfas­senden und von Konsens geprägten politi­schen Willen der Mitglied­staaten beruhen sollte. Sie hob insbe­sondere folgende Punkte hervor:

Mit Blick auf das für Juni 2003 angesetzte polnische Referendum über den Beitritt zur Europäi­schen Union gewinnt die Frage nach den Gründen für einen polni­schen Beitritt vor allem in ihrer Zuspitzung auf die Frage, welcher EU das Land angehören will, an Bedeutung. Den Bürgern müsse in diesem Zusam­menhang verdeut­licht werden, dass Europa nicht nur ein Europa der Verän­derung darstellt, sondern eines, an dessen Verän­derung Polen bereits jetzt sowie in Zukunft aktiv teilhaben kann.

Der Konvent zur Zukunft Europas ist inzwi­schen in eine neue Phase einge­treten. Ging es im letzten Jahr noch vorrangig um Argumen­tieren und Überzeugen, so geht es nun in erster Linie um die Ausar­beitung eines konkreten Verfas­sungs­textes. Dabei steht vor allem der Prozess der Konsens­suche im Vorder­grund: wichtiger noch als die konkreten Ergeb­nisse des Verfas­sungs­kon­vents wird sich in der erwei­terten Union die Frage erweisen, wie diese Ergeb­nisse zu Stande gekommen sind und auf welcher Art von Kompromiss diese beruhen. Um sich nicht weiterhin von einer Regie­rungs­kon­ferenz zur nächsten hangeln zu müssen, wird es für Europa von zentraler Bedeutung sein, zunächst eine grund­le­gende Einigung über die Frage zu erzielen, welche Art von Union man sich in Zukunft vorstellt. Bislang dominierten vorrangig insti­tu­tio­nelle Einzel­fragen den Verfas­sungs­konvent, wie beispiels­weise die Frage nach einem Präsi­denten für den Europäi­schen Rat, den Kompe­tenzen für das Europäische Parlament oder dem Gewicht der Kommission im Insti­tu­tio­nen­gefüge der Gemein­schaft. Dabei lässt sich schon jetzt ein weitge­hender Konsens erkennen, was die Kriterien betrifft, auf deren Grundlage das insti­tu­tio­nelle Gefüge refor­miert werden soll. Frau Hübner verwies auf den von ihr in die Konvents­be­ra­tungen einge­brachten Vorschlag eines gewählten Vorsitzes für den Europäi­schen Rat in Verbindung mit einer rotie­renden Gruppen­prä­si­dent­schaft (CONV 550/03). Hinsichtlich der Frage nach dem politi­schen Gewicht der Union gehen die Vorstel­lungen aller­dings noch weit ausein­ander, was sich nicht zuletzt an den Debatten um die Einführung quali­fi­zierter Mehrheits­ent­schei­dungen im Bereich der Gemein­samen Außen- und Sicher­heits­po­litik ausmachen lässt. Die jüngste Irak-Krise hat einmal mehr gezeigt, dass die Schwach­punkte der EU nicht zuvor­derst auf unter­schied­lichen Ansichten der Mitglied­staaten basieren, sondern in erster Linie an der Art und Weise, wie diese Diffe­renzen insti­tu­tionell kanali­siert werden können.

Was Polen anbetrifft, so beschränken sich dessen spezi­fische Priori­täten zunächst auf klar abgesteckte inhalt­liche Bereiche. Zu nennen sind hier beispiels­weise — analog zur nördlichen Dimension der EU — die Stärkung einer paral­lelen östlichen Dimension, also die Vertiefung der Bezie­hungen zu den neuen Nachbar­staaten in Folge der Erwei­terung. Aber auch die Stärkung und Fortführung der sogenannten Lissabon-Strategie liegt per defini­tionem im polni­schen Interesse, um den weiteren wirtschaft­lichen und sozialen Aufhol­prozess gegenüber dem Westen beschleu­nigen zu können. Letzteres muss zugleich im gesamt­eu­ro­päi­schen Interesse liegen. Der Verzicht auf gemein­schaft­liche Anstren­gungen im Bereich der Verbes­serung von Wirtschafts- und Arbeits­be­din­gungen kann mittel­fristig eine Schwä­chung der politi­schen Handlungs­fä­higkeit der Union hervor­rufen. Die selbst aufge­worfene Frage, ob die Erwei­terung in diesem Zusam­menhang kontra­pro­duktiv wirken könne, verneint Frau Hübner dabei deutlich.

Die größte Heraus­for­derung für die Europäische Union stellt die Schaffung und Stärkung insti­tu­tio­neller Mecha­nismen dar, welche nicht nur der Konflikt­re­gelung dienen, sondern auch die Heraus­bildung eines gemein­samen europäi­schen Inter­esses befördern. Die insti­tu­tio­nellen Reformen müssen somit unter­mauert werden durch einen gemein­samen politi­schen Willen sowie einen perma­nenten politi­schen und gesell­schaft­lichen Dialog. Dieser scheint im Rahmen des Konvents noch mangelhaft ausge­prägt zu sein. Das Totschlag­ar­gument, man könne bestimmte Neuerungen der Bevöl­kerung zu Hause nicht verkaufen, sollte einer geziel­teren Überzeu­gungs­arbeit und einem stärkeren Einbezug der heimi­schen Bevöl­kerung in die Reform­de­batte weichen.

Das Jahr 2003 stellt trotz des erfolg­reich verlau­fenen Abschlusses der Beitritts­ver­hand­lungen mit der EU für Polen wie auch die anderen Kandi­daten ein Schlüs­seljahr dar. Insbe­sondere die Stärkung der adminis­tra­tiven Kapazi­täten der Beitritts­länder steht nun im Mittel­punkt der Vorbe­reitung. Es geht daher auch für Polen um die Stärkung und den Ausbau der natio­nalen Verwaltung, welcher für die Imple­men­tierung des acquis commun­au­taire und die Mitarbeit in allen Brüsseler Gremien eine zentrale Bedeutung zukommt. Frau Hübner verwies in diesem Zusam­menhang noch auf bestehende Lücken, deren Besei­tigung im kommenden Jahr die Aufmerk­samkeit aller Betei­ligten gelten muss.