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IEP-Mittagsgespräch mit Peter Altmaier am 23. Mai 2006: “Die innere Sicherheit der EU – aktuelle Entwicklungen und Perspektiven”

Die Europäische Union könne heute nur durch die Demons­tration von Handlungs­fä­higkeit das „Unbehagen der Bürger gegenüber Europa“ reduzieren. Diese These stellte Staats­se­kretär Altmaier, von 2002 bis 2003 stell­ver­tre­tendes Mitglied im EU-Verfas­sungs­konvent und zuvor im EU-Grund­rech­te­konvent, an den Beginn seines Vortrags im Rahmen der IEP-Mittags­ge­spräche im Jean-Monnet-Haus. Zulange sei in den letzten Jahren in erster Linie über insti­tu­tio­nelle Fragen debat­tiert worden. Demge­genüber liefere der ausge­sprochen dynamische Bereich der Innen- und Justiz­po­litik ein ideales Feld, auf dem die EU durch sichtbare Fortschritte den Wünschen der Bürger nach Sicherheit und Freiheit entsprechen könne. Es bestünde die große Chance, den „Mehrwert der europäi­schen Zusam­men­arbeit“ durch konkrete Projekte aufzuzeigen.

Noch in den 1970er Jahren gab es keine direkte Zusam­men­arbeit zwischen deutscher und franzö­si­scher Polizei oder dem Grenz­schutz. Heute hätten die Mitglied­staaten, nicht zuletzt seit dem Europäi­schen Gipfel von Tampere 1999, große Erfolge zur Verbes­serung der inneren Sicherheit durch unmit­telbare grenz­über­schrei­tende Koope­ration zu verzeichnen. Als Beispiel nannte Altmaier die bevor­ste­hende Fußball-Weltmeis­ter­schaft in Deutschland. Erstmals würden Polizei­beamte aus fast allen Mitglied­staaten gemeinsam mit den deutschen Einheiten ihren Dienst vor den Stadien in ihren jewei­ligen natio­nalen Uniformen leisten. Eine der größten Errun­gen­schaften bleibe der Europäische Haftbefehl, dessen Ratifi­zierung aller­dings wegen des Urteils des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts bedau­er­li­cher­weise in Deutschland noch nicht abgeschlossen sei.

Die EU-Mitglied­staaten seien aktuell mit drei grenz­über­schrei­tenden Bedro­hungen konfron­tiert: dem inter­na­tio­nalen Terro­rismus, grenz­über­schrei­tender Krimi­na­lität (hier insbe­sondere Drogen­handel) und illegaler Migration. Altmaier betonte, dass die europäi­schen Bürger in allen drei Problem­feldern einen effek­tiven Schutz durch die EU erwar­teten. Dabei stehe die EU vor der schwie­rigen Aufgabe, zum einen dem Bedürfnis nach innerer Sicherheit in den Mitglied­staaten gerecht zu werden, zum anderen jedoch über die dadurch notwendige Stärkung des Schen­gener Raums nicht den Eindruck der „Festung Europa“ verschärfen zu dürfen. Aus diesem Grund sei die Zielsetzung einer effek­tiven Nachbar­schafts­po­litik eng mit dem Ausbau des europäi­schen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu verbinden.

Altmaier äußerte sich zurück­haltend im Hinblick auf weitere neue Legis­la­tiv­vor­schläge im Bereich Justiz und Inneres. Im Vorder­grund solle die zügige Ratifi­zierung und praktische Umsetzung bereits beschlos­sener recht­licher Verein­ba­rungen stehen. In diesem Zusam­menhang verwies er auf die konkrete Ausge­staltung des im Mai 2005 unter­zeich­neten Vertrags von Prüm über die Vertiefung der grenz­über­schrei­tenden Zusam­men­arbeit für die Bekämpfung von grenz­über­schrei­tendem Terro­rismus, Krimi­na­lität und illegaler Migration, der möglichst bald auch in Gemein­schafts­recht überführt werden solle. Ein Erfolg sei, dass Rücküber­nah­me­ab­kommen zur Erleich­terung der Abschiebung illegaler Einwan­derer inzwi­schen nicht mehr bilateral, sondern von der Europäi­schen Kommission direkt mit Dritt­staaten verhandelt werden.

Die Ausweitung des Schen­gener Raums auf die neuen Mitglied­staaten sei nun erfor­derlich, so Altmaier. Hierbei müsse es länder­spe­zi­fische Evalu­ie­rungen geben, die sehr wahrscheinlich zu abgestuften Beitritten zum Schen­gener Abkommen führten. Altmaier begrüßte gerade im Bereich Justiz und Inneres die Möglich­keiten der „coope­ration renforcée“ zwischen denje­nigen zu nutzen, die tatsächlich ein gemein­sames Interesse an bestimmten Vorhaben zeigen und voran­schreiten wollen. Diese müsste und solle nicht auf die großen G‑6 beschränkt sein, sondern der Kreis solle für alle, die wollen und können, offen stehen.

Abschließend erklärte Altmaier, dass derzeit intensiv am Programm für die deutsche Ratsprä­si­dent­schaft im ersten Halbjahr 2007 gearbeitet werde. Mehr als eine „Road Map“ für den weiteren Umgang mit dem Europäi­schen Verfas­sungs­vertrag sei angesichts der Wahlen 2007 in Frank­reich und den Nieder­landen kaum zu erwarten. Das Thema der inneren Sicherheit im „modernen“, nicht nur repres­siven Sinne, werde eine Priorität der deutschen Präsi­dent­schaft sein.