IEP-Mittagsgespräch mit Michael Clauss am 29. Mai 2013: “Aktuelle Herausforderungen deutscher Europapolitik”
Ministerialdirektor Michael Clauss, Leiter der Europaabteilung im Auswärtigen Amt, sprach beim IEP-Mittagsgespräch am 29. Mai 2013 in der Vertretung des Saarlandes beim Bund über „Aktuelle Herausforderungen deutscher Europapolitik.“ Die Veranstaltung wurde von Prof. Dr. Mathias Jopp, Direktor des Instituts für Europäische Politik (IEP), moderiert.
Clauss betonte eingangs die prekäre Situation in der Eurozone. Die hohe EU-Jugendarbeitslosigkeit von 23,5 Prozent sowie die wirtschaftliche Rezession in den Krisenländern der Eurozone beherrschten die öffentliche und mediale Debatte. Obwohl sich die Lage für einige Euroländer wie Spanien, Portugal und Italien auf dem Finanzmarkt dank verschiedener Rettungsmaßnahmen und ersten Reformerfolgen beruhigt habe, sei eine realwirtschaftliche Erholung vor 2014/15 nicht zu erwarten.
Die südeuropäischen Krisenstaaten stünden daher vor der doppelten Herausforderung, auf der einen Seite die Schuldenstände und Defizite abzubauen, und auf der anderen Seite in die Belebung der Wirtschaft zu investieren. Er schloss deshalb im Hinblick auf die mangelhafte Wettbewerbsfähigkeit und die hohe Arbeitslosigkeit in diesen Ländern eine Überlastung der betroffenen Bevölkerungen nicht aus, da direkte Reformerfolge bekanntlich erst nach längerfristigen Anpassungsprozessen eintreten würden. Dies werde die gesellschaftliche Akzeptanz der nationalen Regierungen und der EU auf eine harte Probe stellen.
Der Handlungsdruck, der auf der EU laste, sei deshalb groß. Erste Ansatzpunkte für mehr Investitionen lägen daher in einer intensivierten Kreditvergabe der EIB (Europäische Investitionsbank) und in der Umverteilung von nicht verausgabten Mitteln des MFR hin zu Investitionen in Wirtschaftswachstum und Jugendarbeitslosigkeitsbekämpfung. Als mittelfristige Maßnahmen sollten eine Umgestaltung der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU), eine stärkere wirtschaftspolitische Koordinierung und der Abschluss von verbindlichen Vertragspartnerschaften zwischen den Mitgliedstaaten des Euroraumes und der EU-Kommission über nationale Reformprogramme ins Auge gefasst werden. Hinsichtlich der Einrichtung eines Solidaritätsmechanismus in der WWU unterstrich Clauss, dass dieser – wenn überhaupt – strikt von anderen Rettungsmaßnahmen wie dem ESM zu trennen sei. Die Bundesregierung sehe darin lediglich ein projektbezogenes und mit Auflagen versehenes Instrument zum finanziellen Abfedern von Belastungen im Zuge des Reformbedarfs in den Krisenländern.
Langfristig käme die EU jedoch nicht an einer Vertragsrevision vorbei, um die WWU grundlegend neu zu ordnen und auch um die außenpolitische Handlungsfähigkeit der EU zu stärken. Eine Vereinfachung des europäischen politischen Systems und der politischen Entscheidungsverfahren treffe aber auf viele Vorbehalte der Mitgliedstaaten und werde die europäische Agenda vor den europäischen Parlamentswahlen und der Bestellung der neuen Kommission im Jahr 2014 kaum bestimmen.
Den Sorgen über die mangelhafte Funktionsfähigkeit des deutsch-französischen Tandems trat Clauss entschieden entgegen: Trotz der ökonomischen Dominanz Deutschlands in Europa seien beide EU-Staaten auch weiterhin der zentrale Motor der Integration, wie sich in naher Zukunft an deutsch-französischen Initiativen zeigen werde.
Clauss konstatierte wenig Bewegung in der Erweiterungspolitik: Die Beitrittsverhandlungen mit Serbien seien vor allem von Fortschritten im Verhältnis zu Kosovo abhängig und trotz der ersten Erfolge ohne Mandat des Bundestags voraussichtlich nicht vor Anfang 2014 zu eröffnen. Auch die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei verharrten aufgrund der Blockade Frankreichs und des weiterhin ungelösten Zypernkonflikts auf der Stelle.
Des Weiteren stellte Clauss die mit Deutschland initiierte Rechtsstaatsinitiative für Europa mit dem Ziel vor, ein neu strukturiertes Verfahren zum Schutz der gemeinsamen Grundwerte der EU ohne Vertragsänderungen implementieren zu können. Die bisherigen Instrumentarien, das Stimmrechtsentzugsverfahren nach Art. 7 EU-Vertrag und das Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission, seien entweder äußerstes Sanktionsmittel oder beschränkten sich auf die Überprüfung des „Acquis“.
Einen zentralen Aspekt der anschließenden Diskussion stellten die Rolle Großbritanniens und das wohl geplante Referendum zur EU dar. Trotz der Kritik an Camerons vielseitigen Vorstellungen von einer Art „patchwork“-EU betonte Clauss das deutsche Interesse daran, Großbritannien als wichtiges Mitglied in der EU zu halten. Ohne Großbritannien verlöre die EU nicht nur ihr inneres Gegengewicht zum deutsch-französischen Tandem, sondern einen Partner, dessen Handels‑, Wirtschafts- und Finanzvorstellungen denen Deutschlands am nächsten kämen. Trotz der Dringlichkeit einer neuen EU-Strategie zur Reparatur und Stabilisierung der Eurozone stelle ihr Auseinanderbrechen anders als aus britischer Sicht ein eher unwahrscheinliches Szenario dar, da die bisherigen Stabilisierungsmaßnahmen erste Erfolge zeigten.
Von: Julia Klein