IEP-Mittagsgespräch mit Dr. Nikolaus Meyer-Landrut am 19. Dezember 2011: “Wege aus der Krise – Ansatzpunkte und Prioritäten deutscher Europapolitik”
Ministerialdirektor Dr. Nikolaus Meyer-Landrut, Leiter der Abteilung Europapolitik im Bundeskanzleramt, sprach beim IEP-Mittagsgespräch im November über „Wege aus der Krise – Ansatzpunkte und Prioritäten deutscher Europapolitik“. Dabei setzte er den Schwerpunkt auf den Umgang mit der Staatsschuldenkrise in der Eurozone und mögliche Änderungen der Europäischen Verträge.
Eine Lösung der Staatsschuldenkrise sei nur möglich, wenn man über die Ursachen der Krise einig sei. Dies seien der Mangel an Wettbewerbsfähigkeit und eine übermäßige Verschuldung in einigen Mitgliedsstaaten. Die Lösung dieser grundlegenden Probleme werde erhebliche Zeit in Anspruch nehmen. Zusätzlich erschwert werde dies durch die wachsenden Zweifel am Euro, denen nicht unbedingt objektive Urteile zugrunde lägen.
Die Änderung der Europäischen Verträge steht bei der Problemlösung mittlerweile im Mittelpunkt, zumindest für die Länder der Eurozone. Hierbei stehen vier Aspekte im Vordergrund. Erstens, eine Stärkung der institutionellen Architektur der Eurozone, auch um die Kohärenz des 17er Rahmens mit dem 27er Rahmen sicherzustellen. Zweitens, Präventionsmaßnahmen, die bereits vor Erreichen der Defizitobergrenze greifen. Drittens, die Disziplinierung der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Einhaltung der Defizitgrenzen durch einklagbare und durchsetzbare Regeln. Viertens, die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, um Mitgliedstaaten in Notlagen beizustehen, welche die Stabilität der Eurozone als Ganzes gefährden. Ziel müsse eine substantiell gestärkte Wirtschafts- und Währungsunion sein, um dauerhaft eine verantwortungsvolle Haushaltspolitik und Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen. Dies impliziere auch eine intensivere Überprüfung der Erfüllung der Beitrittskriterien für künftige Mitglieder der Eurozone. Es gehe nicht um eine Ausweitung der Gemeinschaftskompetenzen auf neue Politikbereiche. Die vorhandenen Institutionen seien vielmehr zu stärken, damit sie gewährleisten könnten, dass alle Mitgliedstaaten die vereinbarten Regeln künftig einhalten würden.
Für die zukünftige Entwicklung der Eurozone sollte zunehmend darauf geachtet werden, Wirtschaftswachstum nicht nur über mehr öffentlichen Ausgaben zu erzielen. Ein solides Wachstum könne vor allem über Strukturreformen erreicht werden. In diesem Zusammenhang seien auch die Strukturfonds der EU zu überprüfen, die zum Teil zu breitflächig und zu lange Maßnahmen unterstützt hätten, die kein nachhaltiges Wirtschaftswachstum in den Zielländern erzeugt hätten.
Ein weiterer wichtiger Aspekt zur Verhinderung von Krisen sei die Kapitalisierung der Banken. Die am 26. Oktober beschlossenen Kapitalisierungsquoten sollten bis zum Sommer 2012 erreicht sein. Bei einer notwendigen Bankenstabilisierung seien zuerst die jeweiligen Mitgliedstaaten gefragt. Erst wenn ein Mitgliedstaat nicht ausreichend Kapital aufbringen könne, dürfe die EFSF zur Unterstützung herangezogen werden.
Deutschland sei in der Krise mitunter der Kritik ausgesetzt, zu wenig oder zu viel Engagement zu zeigen. Richtig sei, dass Deutschland alles dafür tue, die Staatsschuldenkrise so zu lösen, dass Europa dauerhaft gestärkt aus ihr hervorginge und daran intensiv mit allen europäischen Partnern und den EU-Institutionen arbeite.
In der folgenden Diskussion entwickelte sich eine rege Debatte über mögliche Änderungen der Europäischen Verträge und der Rolle Deutschlands in der aktuellen Krise. Herr Meyer-Landrut nutzte die Möglichkeit, um zu verdeutlichen, dass Deutschland keinesfalls isoliert sei. Gerade unter den 17 Eurostaaten würde kaum jemand die Notwendigkeit zur Überwindung der Konstruktionsfehler der Währungsunion bezweifeln. Mit Blick auf die anderen zehn Mitgliedsstaaten und den Gesamtrahmen der EU betonte er die Wichtigkeit gemeinsamer Institutionen und deren Stärkung durch eine Vertragsreform. Ein Europa der zwei Geschwindigkeiten sei wegen der durch den Euro bewirkten Integration bereits ein Faktum. Entscheidend sei es aber, den Vertiefungsprozess durch effiziente Institutionen und Verfahren für alle Mitgliedsstaaten offen zu halten.