IEP-Mittagsgespräch mit Hans-Gert Pöttering am 20. Februar 2006: “Prioritäten für die Europapolitik aus Sicht der EVP-Fraktion”
„Die Europäische Union“, so Pöttering, Vorsitzender der Fraktion der Europäischen Volkspartei, zu Beginn seines Vortrages im Jean-Monnet-Haus, „gründet sich auf Werte.“ Sie sind das Fundament des gesamten Integrationsprojektes. Aus diesem Grund sei auch der Europäische Verfassungsvertrag nach wie vor unverzichtbar, da er erstmals in der Geschichte diese Werte umfassend beschreibe.
Nicht zuletzt zur besseren Betonung dieser Wertgrundlage wäre eine Invocatio Dei in der Verfassung wünschenswert gewesen. Denn die Werte, auf denen Europa aufbaue und die zu einem großen Teil christlich geprägt seien, dürften kein schmückendes Beiwerk sein, sondern müssten die Grundlage europäischer Politik in allen Bereichen bilden. Was wir brauchen, so Pöttering, ist so etwas wie eine „europäische Leitkultur“. Wie wichtig eine intensive Diskussion und der Respekt vor Werten ist, zeigen auch die jüngsten Auseinandersetzungen um die in Dänemark veröffentlichten Karikaturen. Die hierbei aufflammenden Auseinandersetzungen zwischen den Kulturen sollten aus Sicht Pötterings schnellstmöglich wieder in einen Dialog der Kulturen zurückgeführt werden.
Die EVP werde versuchen, die Euro-Mediterrane-Parlamentarische-Versammlung zu intensivieren und für Teile der Zivilgesellschaften zu öffnen. Eng zusammen mit der kulturellen Identität hänge auch die Frage der Grenzen der EU. Nicht zuletzt die Referenden in Frankreich und den Niederlanden hätten gezeigt, dass die Menschen Angst vor einer zu schnell und zu weitgehenden Erweiterung haben. Vor diesem Hintergrund gelte es auch, die Ergebnisoffenheit der Verhandlungen mit der Türkei zu betonen und eine Alternative zur Vollmitgliedschaft auszuarbeiten. Neben diesen grundlegenden Themen müssen aber auch die aktuellen Ängste der Bevölkerung insbesondere im Hinblick auf die Globalisierung berücksichtigt werden. Gerade bei der Lösung der hiermit zusammenhängenden Probleme haben die Menschen jedoch vielfach das Vertrauen in die europäische Politik verloren. Denn häufig erscheinen die europäischen Entscheidungsprozesse für diese drängenden Fragen zu schwerfällig. Allerdings werde man – das lehre die Erfahrung von 50 Jahren Integrationsgeschichte – nur dann weiter kommen, wenn man die nötigen Schritte nicht nur mit Leidenschaft, sondern auch mit Geduld gehe. Denn beides, so Pöttering, gehört für eine gute Zukunft Europas zusammen.