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IEP-Mittagsgespräch mit Dr. Michaele Schreyer am 4. September 2002: “Die Finanzierung der erweiterten Union und die europäische Finanzverfassung”

Einen Einblick in die momen­tanen und zukünf­tigen Aufgaben der europäi­schen Haushalts­po­litik gab Dr. Michaele Schreyer, Mitglied der Europäi­schen Kommission, im Rahmen des IEP-Mittags­ge­spräches zum Thema: “Die Finan­zierung der erwei­terten Union und die europäische Finanz­ver­fassung”. Im Mittel­punkt des Vortrages im Jean-Monnet-Haus stand die struk­tu­relle Betrachtung des europäi­schen Haushalts und wie dieser für die Zeit nach der Erwei­terung der EU und vor dem Hinter­grund anderer, neuer Heraus­for­de­rungen zukunfts­fähig gemacht werden kann.

Die Finan­zierung der Agrar­po­litik sieht Schreyer durch die von Kommissar Fischler im Juli 2002 vorge­schla­genen Reformen auch im Zug der Erwei­terung als gesichert. Der Vorschlag der Kommission, der ein phasing-in für die Direkt­bei­hilfen der Landwirte in den neuen Mitglied­staaten ab 2004 vorsieht, soll auf der einen Seite eine Überbe­lastung des EU-Haushalt verhindern, aber auf der anderen Seite die neuen Mitglied­staaten nicht von wesent­lichen Teilen des Haushaltes ausschließen.

Die Mittel aus den Struk­tur­fonds, die ca. ein Drittel des Haushalts ausmachen, sollen nach Ansicht Schreyers auch weiterhin nach dem regio­nalen Ansatz vergeben werden und zielge­bunden vergeben werden. Die Struk­tur­fonds sollten nicht alleine die Funktion eines Finanz­aus­gleichs zwischen armen und reichen Staaten haben.

Besonders bei der Finan­zierung einer europäi­schen Außen- und Sicher­heits­po­litik setzt Schreyer auf den europäi­schen Konvent zur Zukunft der Europäi­schen Union. Der Konvent müsse klären, ob die europäische Außen­po­litik nach dem Gemein­schafts­prinzip oder inter­gou­ver­ne­mental konstruiert werden solle. Von der Antwort auf diese Frage seien die zukünftige Finan­zierung und die Aufgaben für den europäi­schen Haushalt abhängig.

Der Konvent müsse ferner grund­sätzlich über die Finan­zierung der Europäi­schen Union nachdenken. Hier stehe die Frage im Mittel­punkt, ob die EU weiterhin im wesent­lichen über Beiträge der Mitglied­staaten finan­ziert werden solle. Schreyer präfe­rierte eine Koppelung des von natio­nalen Beiträgen mit einem direkten Beitrag von seiten der Steuer­zahler. Dieser europäische Steuer­anteil könnte, bedingt durch die fehlende Harmo­ni­sierung bei direkten Steuern nur bei einer indirekten Steuer erhoben werden. Ein Beispiel hierfür wäre die Mehrwert­steuer, die idealer­weise so trans­parent gestaltet werden sollte, dass der Bürger den Anteil, der ‚nach Brüssel geht’, identi­fi­zieren kann.

Zur Finan­zierung der Erwei­terung der EU betonte sie, dass dazu alle Mitglied­staaten zu gleichen Teilen gemessen an ihrem BIP beitragen. Der Eindruck sei falsch, dass die Netto­kosten der Erwei­terung lediglich von den Netto­zahlern der EU-15 getragen würden. Nach der Erwei­terung sei von den neuen Mitglied­staaten durch­schnittlich ein jährlicher Anteil am EU-Haushalt von 5 Mrd. Euro zu erwarten. Der jährlichen Rücklauf aus Brüssel sei durch die Finanz­planung von Berlin (Agenda 2000) begrenzt. Schreyer erläu­terte, dass auch bei einer EU-27 unter Fortschreibung der Ausgaben bis zum Jahre 2010 bei der jetzigen Aufgaben- und Ausga­ben­struktur die Obergrenze von 1,27 % des EU-BIP nicht tangiert würde. Das dürfe aber gerade im Lichte neuer Aufgaben der EU (z.B. im Bereich der inneren Sicherheit, Außen­po­litik und Vertei­digung) kein Freibrief sein, notwendige Reformen in den Politik­be­reichen zu unterlassen.