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IEP-Mittagsgespräch mit Dr. Gunter Pleuger am 9. September 2002: “Perspektiven der europäischen Verfassungsentwicklung”

Am 9. September 2002 fand im Jean-Monnet-Haus das IEP-Mittags­ge­spräch mit Dr. Gunter Pleuger, Staats­se­kretär des Auswär­tigen Amtes, statt.

Die Sicht der Bundes­re­gierung zum Thema “Perspek­tiven der europäi­schen Verfas­sungs­ent­wicklung” stellte Dr. Gunter Pleuger, Staats­se­kretär des Auswär­tigen Amtes, während des IEP-Mittags­ge­sprächs vor. Er zeichnete dabei die aktuelle Debatte innerhalb des europäi­schen Konvents zur Zukunft der Union nach und erläu­terte jeweils zu einzelnen Punkten die bishe­rigen Überle­gungen der deutschen Bundesregierung.

Als besonders entscheidend für den Reform­prozess hob Dr. Pleuger hervor, dass der Konvent einen Verfas­sungs­vertrag mit einheit­lichen Positionen vorlegen müsse, der für eine EU der 25 oder mehr Mitglied­staaten passende Lösungen biete.

Den Weg dorthin beschrieb er mit drei Phasen des Konvents: einer ersten, bereits abgeschlos­senen “General­de­batte”, die Fragen und Aufgaben für die nun im September2002 begonnene zweite Phase der “Sachde­batte” vorbe­reitet und ausge­lotet habe. In einer dritten Phase, die im nächsten Frühjahr beginnen müsse, ginge es darum, Texte möglicher Vertrags­be­stim­mungen im Konvent zu erörtern, um nach inten­siver Beratung am Ende des Konvents einen einzelnen gemein­samen Vorschlag vorzu­legen. Durch dieses Verfahren werde eine große Dynamik entfaltet, die die Basis für die Entscheidung durch die Staats- und Regie­rungs­chefs schaffe.

Der angestrebte Verfas­sungs­vertrag sollte idealer­weise zwei Teile umfassen. Der erste Teil müsste die Grund­rechts­charta, das Insti­tu­tio­nen­gefüge, die Prinzipien, Ziele und Aufgaben der Union beinhalten. Ein zweiter Teil würde die Einzel­heiten mit opera­tiver Bedeutung behandeln. Dieser Teil sollte flexibler und leichter zu ändern sein, um auf neue Heraus­for­de­rungen reagieren zu können. Aber klar sei auch hier: Änderungen, die eine Hoheits­rechts­über­tragung bewirken müssten von allen Mitglied­staaten ratifi­ziert werden.

Ein wichtiges Thema des Konvents sei u.a. die Klärung der Kompe­tenz­ver­teilung, eine vor allem auch deutsche Zielsetzung, die sich zum Gemein­in­teresse aller Mitglied­staaten und Insti­tu­tionen entwi­ckelt habe. Nach Auffassung der Bundes­re­gierung gehe es primär um die Festschreibung von Kompe­tenz­ka­te­gorien im ersten Teil des Vertrages, wie zum Beispiel ausschließ­liche, konkur­rie­rende und komple­mentäre Kompe­tenzen. Diese müssten sich auch im Hinblick auf die Politik­be­reiche nach dem Prinzip der Subsi­dia­rität und Verhält­nis­mä­ßigkeit richten.

Im Zusam­menhang mit der europäi­schen Außen‑, Sicher­heits- und Vertei­di­gungs­po­litik verwies Dr. Pleuger erneut auf das Modell des “Doppel­hutes”, dementspre­chend das Amt des Hohen Vertreters der Außen- und Sicher­heits­po­litik und des Außen­kom­missars in Perso­nal­union ausgeübt würde. Damit würde die politische Stärke des Hohen Vertreters durch seine Veran­kerung im Rat mit den großen finan­zi­ellen Mitteln des Außen­kom­missars und seines Infor­ma­ti­ons­rück­haltes durch weltweit vorhandene Kommis­si­ons­de­le­ga­tionen syner­ge­tisch verbunden. Insgesamt müsse sich der Doppel­hut­träger auf einen schlag­kräf­tigen “europäi­schen diplo­ma­ti­schen Dienst” stützen können.

Insgesamt sieht Dr. Pleuger der Arbeit und dem Produkt des Konvents mit Zuver­sicht entgegen, auch wenn beson­deres Augenmerk darauf gelegt werden müsse, bei der Abarbeitung von Einzel­fragen in den verschie­denen Arbeits­gruppen die Sicht für das Große und Ganze nicht aus den Augen zu verlieren. Statt hier und da an einer Stell­schraube zu drehen, gehe es darum, das Insti­tu­tio­nen­gefüge der Union und die Entschei­dungs­pro­zesse im Gesamt­zu­sam­menhang zu bewerten und für eine EU der 25 und mehr Mitglieder vorzu­be­reiten. Dies sei die Aufgabe des Konvents, die er mit Nachdruck verfolgen müsse, um den Reform­prozess zu einem erfolg­reichen Ende bringen zu können.