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IEP-Mittagsgespräch mit Dr. Erhard Busek am 19. Juni 2008: “Europäische Perspektiven des westlichen Balkans”

Eine neue Ära der europäi­schen Balkan­po­litik beginnt Mittags­ge­spräch mit Dr. Erhard Busek, Koordi­nator des in der bishe­rigen Form auslau­fenden Stabi­li­täts­pakts für Südost­europa, im Rahmen des IEP-Schwer­punkt­pro­gramms gemeinsam mit dem Dialog Europa der Otto-Wolff-Stiftung

Eine neue Ära der europäi­schen Balkan­po­litik beginnt – mit dieser Feststellung eröffnete Dr. Erhard Busek, der schei­dende Koordi­nator des in der bishe­rigen Form auslau­fenden Stabi­li­täts­pakts für Südost­europa, seinen Vortrag zum Thema „Europäische Perspek­tiven des westlichen Balkans“. Die Verant­wortung für die Stabi­lität der Region wird nach dem Ende von Buseks Amtszeit auf den undefi­ned­Re­gional Coope­ration Council übertragen und damit zurück in die Hände der regio­nalen Akteure gelegt.

2003 hat die EU den Ländern Südost­eu­ropas die Beitritts­per­spektive angeboten. Im Vergleich mit den mittel- und osteu­ro­päi­schen Staaten haben die Balkan­staaten jedoch nicht nur die Bürde der Trans­for­mation zu tragen, sondern auch die Folgen der brutalen Bürger­kriege und des organi­sierten Verbre­chens und zudem die Entstehung von fünf unabhän­gigen Staaten zu bewältigen.
EU-Balkan­po­litik als Motor der GASP

Erhard Busek unter­strich die geopo­li­tische Bedeutung Südost­eu­ropas für die EU. Insbe­sondere für die aktuellen Bemühungen um eine gemeinsame Energie­au­ßen­po­litik spielen die Staaten Südost­eu­ropas eine wichtige Rolle. Hier müsse Europa Russland gegenüber mit einer Stimme sprechen.

Das europäische Engagement in Südost­europa sei ein Motor für die Entwicklung der Gemein­samen Außen- und Sicher­heits­po­litik gewesen, so Busek. Doch eine kohärente Außen­po­litik könne nur ein starker Vertreter, der für die gesamte EU spreche, garan­tieren. Die EU habe sich auf dem Balkan dort bewährt, wo sie Kompe­tenzen hatte, und dort versagt, wo ihr diese fehlten, bilan­zierte Busek. Es sei zu überlegen, welche Kompe­tenzen die EU bekommen sollte, um noch erfolg­reicher Hilfe­stellung leisten zu können. Notwendig seien einheit­liche europäische Struk­turen, wobei für eine Aufgabe eine Insti­tution zuständig sein müsse.

Bezüglich der Visa-Frage bezog Busek eindeutig Stellung und plädierte für die vollständige Abschaffung von Visa für die Bürger der Balkan­staaten. Sie seien ohnehin ungeeignet, trans­na­tionale Krimi­na­lität zu verhindern, sondern erschwerten den gegen­sei­tigen Austausch zwischen den Bürge­rinnen und Bürgern der EU und des Balkans. Das wirke sich verheerend auf die Annäherung der Region an Europa aus.

Besten­falls Waffen­still­stand – bestehende Probleme in der Balkanregion

Busek skizzierte die aktuellen Probleme der jewei­ligen Staaten des westlichen Balkans. Der Beitritt Kroatiens würde durch den negativen Ausgang des Referendums über den Vertrag von Lissabon verzögert. Albanien werde viel länger für die Trans­for­mation benötigen als die anderen. Das dort vorherr­schende Clan-System führe immer wieder zu brutal ausge­tra­genen Konflikten verfein­deter Gruppen. Bosnien-Herze­gowina habe es bisher nicht geschafft, die innere Integration zu vollziehen. Die geltende Verfassung bezeichnete Busek „besten­falls als Waffen­still­stand“. Die föderalen Struk­turen seien in höchstem Maße ineffi­zient. Das Land habe mit einer hohen Abwan­derung zu kämpfen. In Mazedonien sei die Frage der Amtssprache und der offizi­ellen Staats­be­zeichnung noch nicht endgültig geklärt. Die Arbeits­lo­sigkeit betrage dort 30%. In Monte­negro hingegen zeichne sich eine derart positive wirtschaft­liche Entwicklung ab, dass es auf dem dortigen Arbeits­markt eine Arbeits­kräf­te­knappheit gebe. Serbien habe die größten Chancen, die Beitritts­kri­terien zu erfüllen, blockiere sich jedoch selbst durch die ableh­nende Haltung zur Unabhän­gig­keits­er­klärung des Kosovo. Die Frustration über den Zerfall Jugosla­wiens und die Abspaltung des Kosovo von Serbien nähre die natio­na­lis­ti­schen Tendenzen und verhindere eine Annäherung an die EU.
Mehr Unter­stützung für den Kosovo

Der Kosovo hat Busek zufolge große Chancen, Stabi­lität zu erreichen. Die EU müsse den neuen Staat massiv unter­stützen, wobei die ersten Reaktionen der Gemein­schaft desor­ga­ni­siert erschienen. Bei einer Arbeits­lo­sigkeit von 50% und einem Anteil unter 30-Jähriger von 70% brauche es Hilfe der EU, um eine funktio­nie­rende Staat­lichkeit aufzubauen.

Zum Schluss forderte der schei­dende Koordi­nator des Stabi­li­täts­paktes von den Staaten des westlichen Balkans mehr Engagement, um die Kriterien für die Aufnahme in die EU zu erfüllen. Er sprach sich gegen Zeitho­ri­zonte für den Beitritt aus, sondern plädierte dafür, ein Land erst dann aufzu­nehmen, wenn es die Kriterien erfülle. Die EU ihrer­seits habe die Beitritts­per­spektive zwar angeboten, müsse sich jedoch auch selbst refor­mieren. Für weitere Integra­ti­ons­schritte in der Energie‑, Klima- oder Sicher­heits­po­litik jenseits des kleinsten gemein­samen Nenners sei eine europäische Öffent­lichkeit notwendig.