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IEP-Mittagsgespräch mit Doris Pack am 2. Mai 2012: “Südosteuropa: Eine Region auf dem Weg in die EU – Probleme, Fortschritte und gelernte Lektionen”

Die EU steht im Prozess der Integration des westlichen Balkans einigen pan-regio­nalen Heraus­for­de­rungen gegenüber. Gleich­zeitig verlangen die einzelnen Staaten Lösungs­an­sätze für ihre indivi­du­ellen Probleme. Über diese und weitere Erkennt­nisse sprach Doris Pack, Vorsit­zende des Ausschusses für Kultur und Bildung, Mitglied der Delegation für die Bezie­hungen zu Albanien, Bosnien und Herze­gowina, Serbien, Monte­negro sowie Kosovo des Europäi­sches Parla­ments zum Thema „Perspek­tiven der Stabi­li­sierung und Integration der westlichen Balkan­staaten“ am 2. Mai 2012 beim IEP-Mittags­ge­spräch im Europäi­schen Haus Berlin.

Pack machte deutlich, dass die Arbeit, welche die EU in der Region leistet, nicht als Wohltä­tigkeit zu werten, sondern auch zum eigenen Nutzen sei, da diese von einer stabilen Nachbar­schaft stark profi­tieren würde. Eine Wieder­holung der drama­ti­schen Entwick­lungen der Region der 1990er Jahre könne nicht ausge­schlossen werden. Laut Pack lassen sich eine Reihe regio­naler Probleme identi­fi­zieren: So herrschte überall in Südost­europa hohe Arbeits­lo­sigkeit. Die schlechten ökono­mi­schen Bedin­gungen machten natio­na­lis­tische Gedanken attraktiv für Teile der Bevöl­kerung. Auch Korruption sei ein großes Problem in allen Staaten der Region.

Die EU habe durch ihre Fehler bei den Beitritten Rumäniens und Bulga­riens 2007 gelernt und erkannt, dass erst alle Bedin­gungen erfüllt sein müssen, bevor ein Land der EU beitreten kann, um nachträg­liche Kompli­ka­tionen zu vermeiden. Deshalb sei es auch nicht möglich, einzelnen Staaten ein Beitritts­datum zu nennen. Ebenso habe man gelernt, dass sämtliche Grenz­strei­tig­keiten vor einem Beitritt geklärt werden müssen. Man dürfe sich kein „zweites Zypern“ in die EU holen. Jedoch dürften bereits beigetretene Staaten Grenz­strei­tig­keiten auch nicht als Druck­mittel gegen ihre Nachbarn einsetzen, die den EU-Beitritt noch nicht vollzogen haben. Gerade ein poten­ti­eller Beitritt Serbiens vor der Lösung der Kosovo­frage sei in diesem Zusam­menhang als heikel zu bewerten. Idealer­weise würden beide Staaten gleich­zeitig der EU beitreten.

Pack gab einen Überblick über die Situation der einzelnen Staaten und unter­strich trotz der regio­nalen Paral­lelen, dass sich jedes Land auf einem indivi­du­ellen Niveau befände. Den bevor­ste­henden Beitritt Kroatiens nannte Pack ein gutes Zeichen dafür, dass die EU ihre Verant­wortung für die Region wahrnehme. Das Land habe ein schwie­riges Verfahren durch­laufen, von dem auch Erfah­rungen für den Umgang mit den anderen Staaten gewonnen wurden. In Monte­negro besteht zwar noch viel Verbes­se­rungs­bedarf in der Korrup­ti­ons­be­kämpfung, dennoch zeichnet sich eine insgesamt positive Entwicklung ab und es sei realis­tisch, dass 2012 bereits die Beitritts­ver­hand­lungen beginnen könnten.

Bezüglich Mazedo­niens kriti­sierte Pack die Haltung Griechen­lands. Der Namens­streit zwischen beiden Staaten sei oberflächlich: Terri­to­riale Ansprüche Mazedo­niens gegenüber Griechenland verwarf sie als unrea­lis­tisch. Realer sei die Gefahr, dass die Position Griechen­lands zu einer Abwendung Mazedo­niens vom EU-Integra­ti­ons­prozess führe. In Albanien könne man eine einiger­maßen positive Entwicklung vermerken, auch wenn großer Lernbedarf im Bereich der Demokratie bestehe. Es existiere eine Zivil­ge­sell­schaft und das Land stehe dem Kosovo bei seiner Staats­bildung zur Seite. Proble­ma­tisch sei dagegen der von Unruhe geprägte politische Alltag, den sie an konkreten Beispielen veran­schau­lichte. Serbien sei adminis­trativ gut auf weitere Integra­ti­ons­schritte vorbe­reitet. Pack hob Serbiens angespannte Bezie­hungen zum Kosovo als das größte Problem des Landes hervor. Seit einem Jahr stünden Priština und Belgrad jedoch im Dialog und es zeich­neten sich erste Resultate der Verhand­lungen ab. Diese seien aller­dings oft weit davon entfernt, in die Praxis umgesetzt zu werden. Pack betonte außerdem, dass Serbien deutlich mehr Engagement zeigen müsse. Eine neue Grenz­ziehung auf Grund von Ethni­zität sei ausge­schlossen. Pack kriti­sierte, dass noch nicht alle EU-Staaten Kosovo anerkannt hätten. Auch in Bosnien und Herze­gowina sei die Situation weiterhin besorg­nis­er­regend. Es fehle an grund­le­genden Staats­struk­turen, wodurch die Funktio­na­lität des Staates erschweren würde. Dieser sei weiterhin entlang ethni­scher Linien gespalten. Es müsse immer wieder deutlich gemacht werden, dass der Gesamt­staat für einen EU-Beitritt funktio­nieren muss. Filmfes­tivals und andere kultu­relle Veran­stal­tungen seien wichtig, um die verschie­denen Bevöl­ke­rungs­gruppen in Kontakt zu bringen und Konflikt­po­tential zu entschärfen.

In der anschlie­ßenden Diskussion hatten die anwesenden Zuhörer die Chance Fragen an Doris Pack zu richten. Sowohl der Botschafter Serbiens als auch die Botschaf­terin Mazedo­niens ergriffen die Chance, die Heraus­for­de­rungen ihres Landes und den Bedarf nach EU-Unter­stützung zu thema­ti­sieren. Weiterhin wurde auch durch den Beitrag einer angehenden Juristin aus Sarajewo deutlich, dass die dort vorherr­schenden, verkrus­teten Struk­turen es progres­siven, EU-freund­lichen jungen Menschen oft unmöglich machten, in einfluss­reiche Positionen aufzusteigen.

In der anschlie­ßenden Diskussion wurde insbe­sondere der noch große Bedarf an EU-Unter­stützung in der Region und die Notwen­digkeit zukünftig mehr jungen Leuten, die Gelegenheit zu geben, die Staaten mitzu­ge­stalten, thematisiert.