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IEP-Mittagsgespräch mit Axel Schäfer am 26. Januar 2012: “Europa: intergouvernemental oder supranational?”

Axel Schäfer, MdB und stell­ver­tre­tender Frakti­ons­vor­sit­zender der SPD, sprach beim Mittags­ge­spräch am 26. Januar 2012 zu der Frage, in welchem konzep­tio­nellen Rahmen die EU sich in Zukunft weiter entwi­ckeln solle, insbe­sondere im Angesicht der Schul­den­krise. Die Gegen­über­stellung von Inter­gou­ver­ne­men­ta­lität und Supra­na­tio­na­lismus bildete den Kern seiner Analyse. Mit Blick auf die Schul­den­krise beleuchtete Schäfer den Vertrag zur Stabi­lität, Koordi­nation und Gover­nance in der Wirtschafts- und Währungs­union. Der Vertrag sei zwischen­staatlich angelegt, wie auch die Heran­ge­hens­weise der EU an die Schul­den­krise überwiegend im Rahmen von Gipfel­treffen der Euro-Staaten gouver­ne­mental geprägt sei. Insgesamt bestehe nunmehr die Frage der Verein­barung zwischen dem neuen Vertrag und den EU-Verträgen.

Wie viel Gemein­schaft nötig bzw. möglich ist, sei immer auch begleitet von der Frage nach unserem Staats­wesen und damit auch von der Kernfrage nach der Souve­rä­nität. Das Verständnis davon habe sich im letzten Jahrhundert entscheidend gewandelt. Beinhaltete der Begriff Souve­rä­nität bis zum zweiten Weltkrieg noch die Entscheidung über den Ausnah­me­zu­stand bzw. über die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, sei im Grund­gesetz von 1949 Deutsch­lands gleich­be­rech­tigte Rolle zur Wahrung des Friedens in einem vereinten Europa manifes­tiert worden, woraus sich später eine intrin­sische Verpflichtung ergeben habe.
Schon bei der 1951 geschaf­fenen EGKS sei es um die Bedeutung der Natio­nal­staaten bzw. um den Charakter der europäi­schen Integration gegangen. Sowohl als auch war die Antwort: Einer­seits waren die Mitglieds­staaten die Herren der Verträge und anderer­seits stellte die Gemein­schaft eine Rechts­per­sön­lichkeit dar. Mehr als ein halbes Jahrhundert und zahlreiche Integra­ti­ons­schritte später sei jedoch dieses „Sowohl als auch“ aus der Balance geraten; statt­dessen bewege sich die europäische Politik zunehmend entlang der Linie Mitglied­staaten vs. Gemeinschaftsinstitutionen.

Die alte Balance müsse wieder­ge­wonnen werden. Dies bedeute nicht, das inter­gou­ver­ne­mentale Element zu ignorieren. EU-Politik sei ohne die inter­gou­ver­ne­mentale Ebene nicht möglich. Letzteres zeige sich daran, dass alle bishe­rigen Integra­ti­ons­fort­schritte hin zu Vertrags­än­de­rungen von Regie­rungen der Mitglieds­staaten ausgingen und die notwen­digen Entschei­dungen von Regie­rungs­kon­fe­renzen gefällt wurden. Insofern stelle der Inter­gou­ver­ne­men­ta­lismus ein wichtiges Integra­ti­ons­werkzeug dar.

Mit einem Zitat das BVerfG, welches der EU konsta­tierte, sich momentan „an der Grenze eines Bundes­staates“ zu befinden, machte er jedoch gleich­zeitig deutlich, dass das europäische Gebilde mit seinem Charakter sui generis weder ein klassi­scher Natio­nal­staat, noch ein klassi­scher Bundestaat wie beispiels­weise die USA, sei. Diese spezielle Beschaf­fenheit der EU habe ihre Konse­quenzen im europäi­schen Entschei­dungs- und Recht­set­zungs­system. Auch das Grund­gesetz in seiner heutigen Form lasse ein Mehr an Supra­na­tio­na­lität kaum zu.

Um die Balance wieder ins Lot zu bringen, zeigte Schäfer zwei Lösungswege auf. Zum einen solle die Rolle der Kommission, insbe­sondere auch im Bereich der Wirtschafts­po­litik, gestärkt werden. Es bedürfe einer starken europäi­schen Gesetz­gebung, z.B. in Form einer Finanz­trans­ak­ti­ons­steuer. Zum anderen müsse die Legiti­mation des Europäi­schen Parla­mentes gestärkt werden und die Europawahl dürfe nicht als nationale Ersatzwahl gelten. Um die Demokratie zu stärken, sollten ausschließlich die EP-Fraktionen aus Spitzen­kan­di­daten der europäi­schen Parteien einen Kommis­si­ons­prä­si­denten wählen. Entspre­chende Gesetze seien vorhanden. Dies würde dem durch die Wahl politisch legiti­mierten Kommis­si­ons­prä­si­denten eine gewich­tigere Rolle zukommen lassen. Im Gegensatz hierzu stehe die gängige Praxis der großen Mitglied­staaten, möglichst keine starken Persön­lich­keiten zum Kommis­si­ons­prä­si­denten vorzu­schlagen, um den eigenen Einfluss zu sichern. Schäfer führte weiter aus, dass dieser demokra­tisch gewählte Kommis­si­ons­prä­sident gleich­zeitig Präsident des Europäi­schen Rats sein solle: einer­seits, um die inter­gou­ver­ne­mentale und die gemein­schaft­liche Ebene zu verbinden und anderer­seits, um die Handlungs­fä­higkeit der Gemein­schafts­organe zu steigern.

In der anschlie­ßenden Diskussion wurde unter anderem dafür plädiert, eine EU-Steuer einzu­führen. Hierzu sei die Finanz­trans­ak­ti­ons­steuer ein guter Ansatz. Dem gegenüber wurde zu bedenken gegeben, dass die Umsetzung dieser Pläne in der Bevöl­kerung derzeit auf wenig Verständnis stießen. Vermehrt wurde auch Kritik am Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt geäußert, welches durch seine Recht­spre­chung weitere Schritte zur Demokra­ti­sierung und Verge­mein­schaftung der EU erschwere.

Schäfer schloss mit der optimis­ti­schen Bemerkung, dass man in Zeiten der Globa­li­sierung Europa als Chance und als Gestal­tungs­in­strument begreifen solle.