Buchvorstellung mit Prof. Dr. Wilfried Loth und Prof. Günter Verheugen am 12. März 2014 in der Vertretung der Europäischen Kommission Berlin
Anlass der Veranstaltung bildete die Vorstellung des Buches „Europas Einigung — Eine unvollendete Geschichte“ von Prof. Dr. Wilfried Loth. Die Einführung hielt Prof. Günter Verheugen zum Thema „Geschichte und Zukunft der Europäischen Union“.
Laut Prof. Verheugen sei die europäische Integration bisher von einer doppelten Dynamik geprägt gewesen, bei der auf jede Krise ein neuerlicher Integrationsschub folgte. Ausgehend von zunächst bescheidenen Zielen sei ein weltweit einmaliges, sich ständig weiter ausdehnendes System entstanden. Mittlerweile hätten sich aber im Bewusstsein der Menschen Idee und Wirklichkeit der europäischen Integration voneinander entfernt. Damit sei kein Misstrauen gegenüber der europäischen Idee an sich verbunden sondern vielmehr derAusdruck von Enttäuschung angesichts zunehmender Technokratie und Nationalismus sowie fehlendem Mut zur Vision. Dadurch sei die bisherige Dynamik verloren gegangen: Die übliche Antwort „mehr Europa“ funktioniere nicht mehr. Zumindest müsse gefragt werden, wo und wozu genau ein mehr an Europa benötigt wird.
Es müsse nun die grundlegende Frage nach Verbesserungsmöglichkeiten gestellt werden, bei deren Antwort Demokratie und Flexibilität eine entscheidende Rolle spielten. Der nächste Integrationsschritt müsse verbunden sein mit einer grundlegenden Demokratisierung des europäischen Systems. Die gegenwärtige Kritik an der fehlenden demokratischen Legitimation der EU greife zu kurz, so Verheugen, da an die EU Ansprüche wie an einen demokratischen Staat gestellt würden, obwohl sie gar kein demokratischer Staat sei. Die Kommission müsse als europäische Regierung aus den Parlamentswahlen hervorgehen und die Parlamentarisierung der EU auf einem Zwei-Kammer-System beruhen. Zweitens müsse die EU insbesondere bei der Erweiterungspolitik aber auch bei der Weiterentwicklung des acquis für mehr Flexibilität eintreten. Nur so könne die erweiterte europäische Integration vorangetrieben werden im weltweiten Wettbewerb Europas mit wesentlich dynamischeren Regionen.
In der anschließenden Diskussion, bei der auch Wilfried Loth die anhaltende zentrale Rolle des Nationalstaats für die Identitätsbildung der Bürger Europas unterstrich, präzisierte Verheugen seine Reformvorschläge für die EU. Diese müsse den Schritt wagen zu einer parlamentarischen Demokratie nach US-amerikanischem Vorbild, bei der die europäische Exekutive aus einem zwei-Kammer-Parlament (Abgeordnetenhaus und Senat) mit Gesetzgebungskompetenz hervorgehe. Voraussetzung für eine solche „Föderation von Nationalstaaten“ (nach Jacques Delors) sei allerdings der Integrationswillen der Menschen, wobei ein ausreichender europapolitischer Diskurs in der Öffentlichkeit fehle und momentan das entscheidende Hindernis sei.
Aus aktuellem Anlass drehte sich die Diskussion auch um die Situation in der Ukraine. Verheugen verwies auch auf Fehler der EU. So sei im Dezember 2012 auf ukrainischer Seite der Willen zur Unterschrift des Assoziierungsabkommens vorhanden gewesen, die EU habe aber Bedingungen nachgeschoben, die für die Ukraine unerfüllbar gewesen seien. Es sei nunmehr nicht klug, ohne Auflagen für Verfassungsreform, freie Wahlen und Demokratisierung der Politik die Assoziierung der Ukraine im Eiltempo voranzutreiben. Rechtsstaatlichkeit müsse auch in der Ukraine ein Gebot sein. Darüber hinaus müsse auf eine Deeskalation hingearbeitet werden und der Dialog mit Russland gesucht werden. Zweifellos, so Verheugen, sei die Frage der Außenpolitik der EU die Zukunftsfrage schlechthin.
Phillip Handy