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14. Ukraine-Frühstücksgespräch: „Die Justizreform und der Kampf gegen Korruption in den ukrainischen Regionen“

Am 15. Juli 2019 fand am Institut für Europäische Politik das 14. Ukraine-Frühstück­ge­spräch im Rahmen des Projekts „Platform for Analytics and Inter­cul­tural Commu­ni­cation“ (PAIC) statt.

Mit den Exper­tinnen Iryna Shyba, Geschäfts­füh­rerin der DEJURE Foundation aus Kyjiw und Oksana Huss, Post-Dokto­randin an der Univer­sität Leiden und Mitbe­grün­derin des Inter­di­sci­plinary Corruption Research Networks (ICR Network), disku­tierten unsere Gäste zum Thema „The Fight Against Corruption in Ukraine: The Role of the Judicial System and Regional Civil Society Organizations“.

Als eines der schwie­rigsten Unter­fangen für die Ukraine galt seit jeher, das Land von Korruption und Vettern­wirt­schaft zu befreien. In einem funktio­nie­renden Staats­wesen sind Straf­ver­fol­gungs­be­hörden und Gerichte dafür zuständig, Korruption aufzu­decken und zu bestrafen. In der Ukraine hingegen waren die Gerichte nach der Unabhän­gigkeit 1991 – wie in vielen anderen post-sowje­ti­schen Staaten auch – selbst Zentren der Korruption. Die Glaub­wür­digkeit des Richteramts hat hierdurch enormen Schaden genommen – weniger als 10% der Bevöl­kerung haben Vertrauen in die Justiz. Als wesent­liche Forderung des Euromaidan 2013/2014 wurde schließlich eine Justiz­reform initiiert, welche das ukrai­nische Justiz­system europäi­schen Standards annähern und die Recht­staat­lichkeit stärken soll.

Bereits im Jahr 2015 wurden Kompe­tenzen zur Ernennung und Entlassung von Richter:innen, die vormalig dem Präsi­denten und dem Parlament oblagen, der High Quali­fi­cation Commission of Judges (HQCJ) und dem Hohen Justizrat übertragen, welche sich ihrer­seits aus Richter:innen zusam­men­setzen. Dies soll die politische Unabhän­gigkeit der ukrai­ni­schen Richter:innen garan­tieren. Anderer­seits birgt der Vorschlag von Richter:innen durch dieselbe Berufs­gruppe selbst einige Risiken. Viele ukrai­nische Expert:innen plädieren jetzt dafür, die zur Ernennung von Richtern zuständige Kommission zu mindestens 50% durch Anwält:innen, Menschenrechtler:innen, Akademiker:innen und Journalist:innen zu besetzen, die von zivil­ge­sell­schaft­liche Organi­sa­tionen nominiert werden. Außerdem sollten alle Kandidat:innen von inter­na­tio­nalen Expert:innen geprüft und ausschließlich durch eine elektro­nische Wahl bestätigt werden, um größt­mög­liche Anony­mität im Auswahl­ver­fahren zu gewähr­leisten. Mit der Kampagne „The Agenda for Justice“ der DEJURE Foundation wird im derzeit statt­fin­denden Parla­ments­wahl­kampf politische Unter­stützung für diese und weitere Vorhaben zur Korrup­ti­ons­be­kämpfung gesammelt.

Ein weiterer Fokus des Frühstücks­ge­sprächs lag auf der Korrup­ti­ons­be­kämpfung in den ukrai­ni­schen Regionen. Zwar gelang dem ukrai­ni­schen Staat durch die Etablierung des Hohen Antikor­rup­ti­ons­ge­richts und des Natio­nalen Korrup­ti­ons­be­kämp­fungs­büros Anfang 2019 die Schaffung einer wesent­lichen Struktur im Kampf gegen die Korruption im Land. Als Neben­wirkung der Dezen­tra­li­sie­rungs­reform verschoben sich korrupte Praktiken aller­dings vom Zentrum in die Peripherie und stellen nun lokale Antikorruptionsaktivist:innen vor große Heraus­for­de­rungen. Im Rahmen des Frühstücks­ge­sprächs wurde auf die Kontext­fak­toren einge­gangen, die für den Erfolg regio­naler Antikorruptionsaktivist:innen verant­wortlich sind. Es wurden auch die Ergeb­nisse des Forschungs­pro­jekts „Civil Society against Corruption in Ukraine: Political Roles, Advocacy, Strategies and Impact” vorge­stellt. Wesent­liche Faktoren seien demnach der politische Wille zur Koope­ration lokaler Eliten sowie deren (infor­meller) Wettbewerb und Zentra­li­sie­rungsgrad, der jeweils verschiedene Strategien erfordere. So wurde in der Studie festge­sellt, dass drei Korrup­ti­ons­schemata in der Ukraine existieren, die als monopo­li­siertes, zentra­li­sertes und dezen­tral­siertes System bezeichnet werden können. Dies hat wiederum einen Einfluss auf Ansätze der Förderung von Antikor­rup­ti­ons­or­ga­ni­sa­tionen und der Zusam­men­arbeit mit dem Staat. Die Daten zeigten, dass konfron­ta­tives Vorgehen in einem der Korrup­ti­ons­systeme zum Erfolg führen könne, in einem anderen jedoch koope­rative Methoden, d.h. mehr Zusam­men­arbeit mit dem Staat, erfolg­reicher seien. Außerdem zeigten sich auf Seiten der zivil­ge­sell­schaft­lichen Organi­sa­tionen fehlende (finan­zielle) Ressourcen und mangelnde öffent­liche Unter­stützung als größte Hinder­nisse für erfolg­reiche Korrup­ti­ons­be­kämpfung, die durch insti­tu­tio­nelle Förderung und Koope­ration mit Organi­sa­tionen mit großen Kapazi­täten kompen­siert werden könnten. Insgesamt ließ sich schluss­folgern, dass inter­na­tionale Geldgeber ihre Förder­praxis in einigen Fällen überdenken sollten.

Das Forschungs­projekt entstand in Zusam­men­arbeit mit der Univer­sität Leiden und dem Anti-Corruption Research and Education Centre der Kiewer Mohyla Academy (ACREC, Kyjiw) und wurde und von der Nether­lands Organi­sation for Scien­tific Research (NWO, Den Haag) gefördert.

Die im Rahmen des Projekts „Platform for Analytics and Inter­cul­tural Commu­ni­cation“ (PAIC) statt­fin­denden Frühstücks­ge­spräche sind konzi­piert als Ukraine-Fachge­spräch, bei dem Exper­tInnen und Vertreter:innen ukrai­ni­scher Think-Tanks Vorträge über eine aktuelle Thematik halten, die anschließend detail­liert mit den Gästen bei Crois­sants und Kaffee disku­tiert wird. Das Projekt PAIC sieht die Förderung der ukrai­ni­schen Think-Tank-Szene und den Austausch zwischen deutschen und ukrai­ni­schen Forschungs­in­sti­tu­tionen vor. Das Projekt wird vom Institut für Europäische Politik (IEP, Berlin) in Zusam­men­arbeit mit der Ilko Kucheriv Democratic Initia­tives Foundation (DIF, Kyjiw) und der Denkfa­briken-Initiative think twice UA (Kyjiw) mit Unter­stützung des Auswär­tigen Amts durchgeführt.