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Europäischer Abend: „Europäische Solidarität: Was darf’s kosten?“ am 4. Dezember 2017 in Berlin

„Europäische Solida­rität: Was darf’s kosten?“ Dieser Frage ging der 27. Europäische Abend am 4. Dezember 2017 im dbb forum in Berlin nach. Spitzen­ver­treter der europäi­schen Politik warnten davor, die Antwort auf rein finan­zielle Aspekte zu reduzieren.

Der neue dbb Bundes­vor­sit­zende Ulrich Silberbach mahnte zum Auftakt des Europäi­schen Abends: „Europa ist in den vergan­genen Jahren ausein­an­der­ge­driftet, aber Megatrends wie die Globa­li­sierung, die Digita­li­sierung, die Erder­wärmung und der demogra­fische Wandel verlangen nach überzeu­genden gemein­samen Antworten. Unsere wechsel­seitige Abhän­gigkeit, zu der es in Anbetracht dieser Rahmen­be­din­gungen keine Alter­native gibt, erfordert Zusam­menhalt, also Solida­rität.“ In der Debatte dürfe es aber nicht nur um finan­zielle Transfers gehen, denn „sie allein werden den Menschen Europa nicht näherbringen“.

Oettinger bekennt sich zu intel­li­genter Transferunion

Günther Oettinger, EU-Kommissar für Haushalt und Personal, warb in seinem Impuls­re­ferat ebenfalls für mehr gemeinsame Ziele der Mitglieds­staaten der Europäi­schen Union. Als Beispiele nannte er eine gemeinsame Vertei­digung zur Sicherung von Demokratie und Frieden sowie größere Anstren­gungen in der Forschung, um im inter­na­tio­nalen Wettbewerb bestehen zu können. Diese Projekte bräuchten in erster Linie einen gemein­samen politi­schen Willen, könnten aber auch nur solida­risch finan­ziert und damit reali­siert werden. „Gerade Deutschland muss sich in die Debatte um die Zukunft der Europäi­schen Union schnell mehr einbringen“, sagte Oettinger mit Blick auf die schlep­pende Regie­rungs­bildung in Berlin. Die Bundes­re­publik sei der größte Profiteur einer stabilen Kohäsi­ons­po­litik, also einer Anglei­chung zwischen wirtschafts­starken und ‑schwachen Regionen. Diese sei ohne einen finan­zi­ellen Ausgleich aber nicht denkbar. „Ich bekenne mich daher zu einer intel­li­genten Trans­fer­union“, so der EU-Haushalts-Kommissar.

Den Erfolg der bishe­rigen Kohäsi­ons­po­litik betonte in der anschlie­ßenden Podiums­dis­kussion auch MdEP Herbert Dorfmann (EVP): „Meine Heimat Südtirol hat bereits vor Jahrzehnten außer­or­dentlich von der europäi­schen Kohäsi­ons­po­litik profi­tiert: In den 1950er Jahren war die Provinz Bozen ein Armenhaus. Heute sind wir die reichste Region in ganz Italien.“ Natürlich solle man Geld nicht aus dem Fenster werfen, aber „sparen um jeden Preis ist nicht immer die richtige Lösung, wenn es darum geht, schwä­chere Mitglieds­staaten zu stützen. Oft ist es besser, deren Haushalte anders zu organi­sieren oder zu reformieren“.

Wie Silberbach und Oettinger betonte MdB Lars Castel­lucci (SPD), „dass wir beim Thema ‚Europa‘ nicht zuerst über Kosten reden sollten, sondern über den Mehrwert der Mitglied­schaft und Ideen für die gemeinsame Zukunft.“ Auch er lenkte den Blick auf die Rolle der EU im Weltge­schehen, etwa bezüglich der Ziele der Vereinten Nationen für Nachhaltige Entwicklung. Hier falle Europa eine Schlüs­sel­rolle zu, da andere Weltmächte wie die USA, Russland oder China den Entwick­lungs­ländern – vor allem in Afrika – nur bedingt faire Chancen bei Handel und Inves­ti­tionen einräumen würden. „Wir brauchen ‚Fair-Handel‘ nicht ‚Frei-Handel‘, dabei ist europäische Führung gefragt“, so Castellucci.

Oudot de Dainville: Steuer­po­litik harmonisieren

Hinsichtlich der Solida­rität innerhalb der Europäi­schen Union plädierte der Gesandte für Wirtschafts­an­ge­le­gen­heiten der Franzö­si­schen Botschaft, Etienne Oudot de Dainville, dafür, die Eurozone jetzt schon für zukünftige Krisen zu stärken. Dazu sei eine Harmo­ni­sierung der Steuer­po­litik in der EU überfällig: „Die Mitglieds­staaten dürfen sich von Google, Apple und Co nicht gegen­ein­ander ausspielen lassen.“

Die Europa­par­la­men­ta­rierin Helga Trüpel (Grüne) ging beim Thema Steuern noch einen Schritt weiter: „Der EU-Haushalt wird auf mindestens 1,2 Prozent des europäi­schen Brutto­in­lands­pro­duktes angehoben werden müssen. Außerdem sollte über die Einführung von EU-Steuern nachge­dacht werden.“ Eine reine Umver­teilung innerhalb der EU werde angesichts der globalen Heraus­for­de­rungen nicht ausreichen. Die wirtschaft­liche Stabi­lität und Solida­rität seien aber wichtige Faktoren, damit die EU „das Projekt der europäi­schen Aufklärung und des Libera­lismus gegen populis­tische, natio­na­lis­tische und antide­mo­kra­tische Tendenzen vertei­digen“ könne.

Der Bundes­tags­ab­ge­ordnete Michael Theurer (FDP) betonte hingegen, dass sich Stabi­lität nur erreichen lasse, wenn mit den vorhan­denen Mitteln auch intel­li­genter umgegangen werde: „Man sollte in Europa genau hinschauen, wo das Geld ausge­geben wird.“ Wichtig seien eine gemeinsame Sicher­heits- und Vertei­di­gungs­po­litik sowie die Stärkung der Wettbe­werbs­fä­higkeit. Dafür müssten die Mitglieds­staaten aller­dings entspre­chende Budgets an Europa übertragen.

Calliess: Solida­rität und Subsidiarität

Professor Christian Calliess, derzeit im Strategie-Team des EU-Kommis­si­ons­prä­si­denten Jean-Claude Juncker, wies darauf hin, dass neben der Solida­rität die Subsi­dia­rität ein essen­ti­elles Prinzip der Europäi­schen Verträge sei. Erstere habe zuletzt sehr gelitten, weil die Mitglieds­staaten sich immer stärker an Eigen­in­ter­essen orien­tierten. Echte Solida­rität bedeute aber, eigene Vorteilen und Lasten in der Balance zu halten. Die Kommission wolle dem gegen­wär­tigen politi­schen Trend insofern Rechnung tragen, indem sie ihrer­seits die Subsi­dia­rität stärkt und künftig weniger Aufgaben wahrnehmen, diese aber „noch konzen­trierter und effizi­enter erledigen“ wolle.

Richard Kühnel, Leiter der Vertretung der EU-Kommission in Deutschland, mahnte alle politi­schen Akteure in seinem Schlusswort, mit Leiden­schaft über die Zukunft und der EU zu streiten, dabei aber das Wesent­liche nicht aus den Augen zu verlieren: „Europa ist mehr, als ein Preis­schild ausdrücken kann.“

Der Europäische Abend ist eine Koope­ra­ti­ons­ver­an­staltung von Europa-Union Deutschland und ihrem Landes­verband Berlin, dbb beamtenbund und tarif­union, dem Bundes­netzwerk Bürger­schaft­liches Engagement sowie der Vertretung der Europäi­schen Kommission in Deutschland.

Text: dbb beamtenbund und tarifunion

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