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4. Deutschland-Frühstücksgespräch in Kyjiw: „Wie steht es um die deutsch-ukrainischen Beziehungen? Stimmen aus dem Deutschen Bundestag und der Werchowna Rada“

Die bilaterale Zusam­men­arbeit zwischen Deutschland und der Ukraine hat sich seit der Revolution der Würde im Jahr 2014 und der anschlie­ßenden militä­ri­schen Aggression durch die Russische Föderation stetig inten­si­viert. Das spiegelt sich unter anderem in der Einrichtung neuer Insti­tu­tionen, wie zum Beispiel dem Arbeitsstab Ukraine des Auswär­tigen Amtes, oder der Ernennung des ehema­ligen Minis­ter­prä­si­denten Sachsens, Georg Milbradt, als Sonder­be­rater für die ukrai­nische Reform­agenda wieder, der sich besonders für den Dezen­tra­li­sie­rungs­prozess engagiert. Trotz der Erfolge der letzten Jahre und durchaus positiver Signale beim jüngsten EU-Ukraine-Gipfel wäre es nicht richtig zu sagen, dass es nicht auch Grund zur Besorgnis gäbe. Wenn die ukrai­nische Regierung es nicht schafft, wirksame Maßnahmen gegen die immer noch weit verbreitete Korruption und für die Stärkung der Rechts­staat­lichkeit umzusetzen, wird der Einsatz der ukrai­ni­schen Regierung für den Reform­prozess an Glaub­wür­digkeit verlieren.

Die Gäste des 4. Deutschland-Frühstücks­ge­sprächs am 29. Oktober 2020 disku­tierten mit Galyna Yanchenko (Sluha Narodu), der Co-Vorsit­zenden der Ukrai­nisch-Deutschen Parla­men­ta­ri­er­gruppe in der Werchowna Rada, und Omid Nouripour (Bündnis 10/DIE GRÜNEN), dem Vorsit­zenden der Deutsch-Ukrai­ni­schen Parla­men­ta­ri­er­gruppe im Deutschen Bundestag, Perspek­tiven auf die aktuelle Entwicklung der deutsch-ukrai­ni­schen Zusammenarbeit.

Dabei haben wir uns besonders über die Teilnahme der deutschen Botschaf­terin in Kyjiw, Anka Feldhusen, gefreut, unter deren Schirm­herr­schaft die Deutschland-Frühstücks­ge­spräche stehen. In ihrer Eröff­nungsrede zu Beginn der Veran­staltung betonte sie die Wichtigkeit von Austausch­for­maten wie den Frühstücks­ge­sprächen für die bilate­ralen Bezie­hungen. Nur einen Tag zuvor hatte das ukrai­nische Verfas­sungs­ge­richt eine Reihe von Anti-Korrup­ti­ons­ge­setzen für ungültig erklärt – ein weiteres Zeichen dafür, dass der Austausch zwischen deutschen und ukrai­ni­schen Parlamentarier:innen über Online-Veran­stal­tungen wie diese zum gegen­sei­tigen Erkenntnis- und Verständ­nis­gewinn unbedingt fortge­setzt werden sollte.

Nach einem kurzen Überblick über die aktuelle Situation durch IEP-Direk­torin Katrin Böttger und der Begrüßung durch Sergiy Solodkyy von der Partner­or­ga­ni­sation New Europe Center (NEC) wurde das Gespräch mit einem Einblick in die Priori­täten der parla­men­ta­ri­schen Zusam­men­arbeit eröffnet. Zentrales Thema bliebe hier die Aggression Russlands in der Ostukraine. Vonseiten Deutsch­lands sei nicht nur Solida­rität und Engagement im Normandie-Format gefragt, sondern es müsse auch aktiv über die Krim gesprochen werden – Schweigen trage hier zu einer Norma­li­sierung der Situation bei. Zum anderen könne Deutschland in Bezug auf die Verbreitung von Fake News und hybrider Kriegs­führung sehr viel von den Erfah­rungen der Ukraine lernen. Nicht nur in Bezug auf die eigenen Bezie­hungen zu Russland, sondern auch im Umgang mit Belarus.

Deutschland ist momentan einer der wichtigsten Handels­partner der Ukraine. Nukleus des Reform­be­darfs ist und bleibt jedoch nach wie vor die Korruption im Land. Um die wirtschaft­liche Koope­ration auszu­bauen und deutsche Unter­nehmen davon zu überzeugen, ihre Produk­ti­ons­ka­pa­zi­täten in die Ukraine zu verlegen, müsse das Inves­ti­ti­ons­klima nachhaltig verbessert werden. Das jüngst verab­schiedete Urteil des Verfas­sungs­ge­richts, das unter anderem die straf­recht­liche Verfolgung von Steuer­hin­ter­ziehung bei Beamten verhindert, sei nicht nur ein falsches Signal nach außen, sondern auch die Umkehrung von sechs Jahren Arbeit im Kampf gegen die Korruption.

Fragen aus dem Publikum betrafen vor allem die Sanktionen gegenüber Russland und inwiefern der Fall Nawalny einen Einfluss auf das Projekt Nord Stream 2 hätte. Je weiter fortge­schritten der Bau, desto unwahr­schein­licher werde ein Stopp der Pipeline, die sich zum echten Politikum entwi­ckelt habe. Außerdem disku­tiert wurden die histo­rische Verant­wortung und die damit einher­ge­hende moralische sowie finan­zielle Verpflichtung Deutsch­lands gegenüber der Ukraine und die Rolle der Deutsch-Ukrai­ni­schen Histo­ri­ker­kom­mission, der das ukrai­nische Außen­mi­nis­terium erst kürzlich seine Schirm­herr­schaft entzogen hat. Zum Ende der Debatte wurden nicht nur die Ergeb­nisse der ukrai­ni­schen Kommu­nal­wahlen, sondern auch die Konse­quenzen des Ausgangs der US-Wahl für die Ukraine diskutiert.


Die Deutschland-Frühstücks­ge­spräche sind Teil des Projekts „German Ukrainian Resear­chers Network“ (GURN). Ziel des Projekts ist, ein deutsch-ukrai­ni­sches Netzwerk für Junior und Senior Resear­chers aufzu­bauen, die Expertise im Bereich Policy Analysis zu stärken und gemeinsame Forschungs­pro­jekte zu fördern. GURN wird in enger Zusam­men­arbeit mit der Ilko Kucheriv Democratic Initia­tives Foundation (DIF, Kyjiw), der „Think Tank Develo­pment and Research Initiative think twice UA” (Kyjiw), dem New Europe Center (NEC, Kyjiw) und mit freund­licher Unter­stützung des Auswär­tigen Amtes durchgeführt.